Die Goldmacherin Historischer Roman
Brotlaibe. Endlos schien der Wald aus sich reckenden, schmutzigen Armen und Händen, die Aurelia vor der Wegzehrung trennte.
Erinnere dich, wie man auf der Straße überlebt. Sie gab sich einen Ruck, scherte in den Fluss der Leiber ein, ließ sich zu den Wagen der Mönche treiben. Dort riss sie einen Laib Schwarzbrot an sich und barg ihn fest vor ihrer Brust.
Damit durchschritt sie das halbzerstörte Gautor. Sie biss schon in das Endstück, das frische Brot tat ihr wohl. Erinnere dich, ermahnte sie sich . Die Schwachen kamen nicht weit, wenn sie etwas besaßen, das die Starken ihnen stehlen konnten. Schon nach den nächsten Hügeln vor der Stadt würde der Kampf ums Brot ausbrechen. Doch bis dahin blieb Aurelia genügend Zeit, um den Laib bis auf die letzte Krume zu verzehren. Und was sie im Leib hatte, konnte ihr keiner mehr stehlen.
Aurelia folgte dem Zug über den Stadtgraben, an dessen Seiten erschlagene Männer wild übereinandergeworfen lagen. Sie konnte im Gedränge nicht erkennen, ob Romualds Körper darunter war. Die Ungewissheit quälte sie. Wenn sie doch nur wüsste, ob er noch lebte.
Die Menge drängte durch die Vorwerke weiter.
Es half alles nichts, Aurelia brauchte ein Ziel , sonst ging sie unter. Sie entschied sich für einen Weg abseits des Rheins und der großen Landstraßen. Denn an den Hauptwegen würden alle Bauern die Ställe verrammeln und die Armen schneller Hungers sterben als auf den Nebenwegen. Ein Lied fand wie von selbst auf ihre Lippen, das sie früher getröstet hatte. » Qu’eu laisses per Amor … « Es war eine Melodie aus dem Süden, die ihre Mutter so gern gesungen hatte.Wie in den Versen beklagt, hatte Aurelia alle verloren, die sie geliebt hatte.
Sie sah noch mehr Tote am Wegesrand liegen, doch sie wollte nicht wahrhaben, was Romualds Mutter behauptet hatte. Aber der Anblick der vielen verbluteten Mainzer sprach dafür, dass Romuald erschlagen worden war wie die Hunderte von Toten hier.
Der Schmerz war so groß, dass Aurelia sich wie eine Fremde neben sich schreiten sah. Doch diese Frau musste überleben. Und Aurelia wog ab, wie sie am besten überleben konnte.
Was sollte sie in diesem kalten Norden bleiben? Die glücklichsten Tage ihrer Jugend hatte sie doch im Süden verlebt. Dorthin würde sie gehen, so weit der Weg auch war.Anders als die armen Mündellosen um sie herum hatte sie schon ein Stück der Welt gesehen. Zuallererst musste sie aus der Kriegsgegend um Mainz und der Pfalz entkommen und es vor Wintereinbruch bis ins Elsass schaffen. Dort konnte sie vielleicht einen Bauern oder Bürger finden, bei dem sie sich bis zum Frühjahr als Magd verdingen könnte.
Als Aurelia der verwüsteten Weingärten auf den Hängen vor der Stadt gewahr wurde, liefen ihr Tränen über das Gesicht. Ihr schmerzendes Herz zweifelte immer noch, ob Romuald wirklich gestorben sein konnte, selbst wenn noch so viel dafür sprach. Doch nur der Allmächtige konnte sie mit ihm wieder zusammenführen. Und sei es im Tod.
9
T rotz des Regens schleppte sich Aurelia auf der Landstraße entlang, selbst wenn sie nur fünf oder sechs schlammige Wegbiegungen zwischen Feldern und Waldstücken weiterkam. Ohne ein Dach über dem Kopf würde sie bald in den eisigen Novembernächten erfrieren. Schon viermal hatte sie vor Kälte kaum Schlaf gefunden, als sie sich unter Büschen oder in Erdkuhlen verborgen hatte. Sie musste nach Süden, so schnell es ging.
Aurelia schlug den dreckstarrenden Wildlederumhang fester um sich. Die alte Bettlerin hatte ihn nicht mehr gebraucht. Sie hatten Mainz noch nicht weit hinter sich gelassen, da war sie vor Erschöpfung am Straßenrand niedergesunken.Aurelia hatte sie gestützt, doch bald war sie in den Knien eingeknickt und ohne einen Klagelaut gestorben. Nach einem kurzen Gebet hatte Aurelia der Armen die Augen zugedrückt.
Der Mantel war ihr Himmelslohn. Wer wusste schon, von wem die Alte das wasserdichte Stück geschenkt bekommen hatte. Der Mantel mochte einem Jäger gehört haben. Nun hielt das Wildleder Aurelias Körperwärme beisammen.
Sie sah zu den Wolken auf; der Regen hatte aufgehört, es fiel kein Tropfen mehr. Seit der Vertreibung aus Mainz hatte sie die Dörfer gemieden. Bis zum bewaldeten Hügel dort hinten könnte sie es vor der Nacht noch schaffen. Rasch lief sie an Schlammpfützen vorbei, über Feldsteine und glitschiges Gras. In der Ferne, auf den Hügeln und an den Feldrainen sah sie überall Rotten von Menschen, die sich voranschleppten.
Die Frucht
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