Die Goldmacherin Historischer Roman
gab ihr Halt, ein Winkel vor der Rückseite einer Kapelle vielleicht, doch es gab keine Pforte, kein Fenster, nichts.
»Aurelia?«
Sie war so verwirrt. Wo war sie nur hingelangt, wo war der Rhein, das nächste Tor? Diese krumme, enge Gasse kannte sie nicht.
»Aurelia!«
Herr im Himmel, wohin sollte sie nur fliehen, wenn ganz Mainz gestürmt wurde von todestrunkenen Schlächtern? Die ihren Vater und Romuald … Sie schlug die Hände vors Gesicht.
»Bleib stehen, so bleib doch stehen.Wir wollen helfen.«
Helfen? Die Stimmen kamen von oben.Wer würde ihr jetzt noch helfen können? Aurelia hob den Kopf zum schmalen Stück Himmel über den hohen Mauern rechts und links. Zwei dunkle Punkte konnte sie hoch droben erkennen, Menschen … Ein Seil schlängelte sich an der Steinwand herab.
»Fass fest zu.«
Aurelia band sich das Ende des Seils um die Hüfte. Dann spürte sie den Zug nach oben.Vorn in der Gasse reckten schon Männer den gierigen Hals. Sie setzte die Füße auf das Mauerwerk, stützte sich mit den Händen an den rauen Steinen ab und behielt so das Gleichgewicht. Leicht schien es ihr, wie eine Katze an einem Baum senkrecht die Mauer hinaufzugehen.
Arme zogen sie über eine Steinkante und betteten sie auf etwas Weichem.
»Aurelia, wir sind so froh, dass …« Wem die Stimmen, wem die Arme gehörten, das vermochte sie nicht mehr zu begreifen. Schwer und dumpf sackte sie in eine grauenvolle Dunkelheit.
7
W ieder und wieder träumte sie von Vaters totem Gesicht zwischen all dem Blut. Von Romualds schreiendem Mund. Schattenfratzen, Funkengarben und glühende Waffen drangen in Aurelia ein, bis etwas voller Wärme und Verheißung in ihr Bewusstsein schwebte.
Ein würziger Geruch einer Speise reizte ihre Nase. Erleichterung durchströmte Aurelia, schon bevor sie richtig erwachte. Linsensuppe netzte ihre Lippen, so scharf und süßlich wie sie nur bei den Juden gekocht wurde. Mit einem Ruck fuhr Aurelia hoch.
»Ganz ruhig.« Sanft legte sich eine Hand auf ihre Schulter. »Du bist in Sicherheit.« Ein vertrautes Gesicht mit gezupften Augenbrauen lächelte sie tapfer an.
»Rahel!« Aurelia fiel ihrer Freundin um den Hals.
Es tat so gut, von warmen, weichen Armen gewiegt zu werden. Immer mehr Bilder stiegen in Aurelia auf, denn der grausame Traum war nichts als der Spiegel der Wirklichkeit gewesen. »Vater ist tot und Romuald vielleicht auch.« Sie schluchzte unter Tränen. Rahel hielt sie einfach und strich ihr über die Haare.
»Du musst jetzt etwas essen«, sagte ihre Freundin nach einer Weile. Sie beugte sich zum Steinboden und reichte ihr eine dampfende Holzschale. »Mehr als Suppe haben wir nicht.«
Heißhunger erfasste Aurelia und verdrängte die endlose Erschöpfung. Sie griff zu. Nach drei Löffeln wurde ihr erst bewusst, dass sie auf feinem Laken gebettet saß. Ihr Blick glitt über den roten Boden zu den hohen Sandsteinwänden.
In dem schmalen Raum waren noch mehr Schlafstellen aufgebaut, die alle verlassen waren. Kisten und Körbe stapelten sich unter einem Fenster, durch das ein Sonnenstrahl einen dünnen Streifen auf einen eingebauten Schrank zeichnete. »Wo sind wir hier?«
»In einer Zeugkammer im Bischofspalast.« Rahel drehte sich auf dem kleinen Schemel, auf dem sie saß, und nahm einen Krug vom Boden. »Wasser haben wir genug«, seufzte sie leise, als sie den Becher vollgoss. »Wenigstens das.«
Aurelia stellte die leere Holzschale in ihren Schoß. Aber ja, das Seil an der Mauer … »Ihr habt mir das Leben gerettet.«
»Das hoffe ich.« Der Becher zitterte in Rahels Hand.
Aurelia erschrak heftig. »Wie meinst du das?«
»Zwar hat der Bischof uns Juden Schutz gewährt, als die Truppen des Nassauers die Stadt belagerten, aber er hat die Stadt inzwischen verloren.«
Aurelia sah zu den leeren Schlafstellen hin.Vielleicht hatte auch Rahel ein schreckliches Schicksal getroffen. »Wo sind deine Leute?«, flüsterte sie und nahm der Freundin den Wasserbecher aus der Hand, die immer mehr zitterte.
»Nicht lange bevor du endlich aufgewacht bist, stand plötzlich ein Nassauer Knecht vor uns. Meine Schwestern und ich fürchteten schon, dass er uns Gewalt antun wollte.« Sie schluckte. »Aber er hatte nur einen Befehl für uns. Jetzt schaffen sie mit meiner Mutter gerade alles, was wir von unserer Habe gerettet haben, im Hof draußen auf die Wagen der Sieger.« Rahels Blick glitt zu den wenigen Körben und Kisten in einer Ecke. »Das dort ist alles, was wir behalten dürfen.«
»Und dein
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