Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Kindergesicht wenden zu können. »Aber ein Becher Wasser wäre gut.«
Wie hübsch sie ist, ging es ihr durch den Kopf. Sie hat die Nase ihres Vaters.
»Ich soll Euch von der Hebamme Grüße ausrichten. Sie sieht morgen wieder nach Euch«, meinte die Lohnarbeiterin und schloss die Tür hinter sich.
Cristin nickte. So dankbar sie für Minnas Fürsorge war, so froh war sie nun, für einen Moment allein sein zu können. Vorsichtig bettete sie Elisabeth auf die andere Seite, und die entrückt wirkende Miene des Kindes entlockte ihr ein Lächeln. Die Hitze in der Kammer machte ihr zu schaffen. Das Gewand klebte ihr am Körper, und sie sehnte sich nach einem kühlen Bad. Eine neue, scharfe Schmerzwelle jagte durch ihren Unterleib. Cristin sog gequält die Luft ein und wartete, bis sie wieder verebbte. Sie hatte gedacht, nun, nachdem das Kind heraus war, wären auch die Schmerzen vorüber, doch dem war anscheinend nicht so. Seltsam, warum nur sah sie alles so verschwommen, als läge ein Schleier über allem? Cristin kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder, wie um die Nebel zu vertreiben. Sie verstand das nicht, ihre Sehkraft war immer bestens gewesen. Lähmende Müdigkeit erfasste sie. Wenn Minna nur endlich wiederkommen würde, um ihr die Kleine abzunehmen.
»Mirke kommt gleich, Herrin. Sie wird …« Die rundliche Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Frau Bremer? Ihr seid ganz blass.«
Cristin streckte ihr das Kind entgegen. »Ich bin … bin so müde.«
Minna legte ihr erst eine Hand auf die Wangen, dann auf die Stirn. »Ihr habt Fieber. Mein Gott.«
8
F rau Bremer. Könnt Ihr mich hören?«
Cristin hob die Lider. Nach anfänglicher Verwirrung erkannte sie schließlich Minna, die sich über sie beugte. Sie öffnete die Lippen, doch ihre Zunge schien wie festgewachsen zu sein. Die Lohnarbeiterin hob Cristins Kopf und hielt ihr einen Becher an die Lippen. Das kühle Wasser rann wohltuend durch ihre Kehle.
»Ihr habt lange geschlafen, Herrin«, erklärte Minna und wies hinter sich zu der Ecke, in der das Kinderbett stand. »Wie die Mutter, so die Tochter.«
Cristin versuchte ein Lächeln. Da war er wieder, dieser alles vernichtende Schmerz. Glühende Messer schienen sich in ihren Leib bohren zu wollen. Sie krümmte sich zusammen und presste die Hände auf den Bauch.
»Meine Güte, Deern«, entfuhr es der Älteren, »Ihr habt Schmerzen?«
»Mein Leib«, flüsterte Cristin, während ihr Tränen über die Wangen rollten. »Er … tut so furchtbar weh.«
»Ich lasse nach der Wehfrau schicken.«
Vor der Kammertür raufte sich die alte Lohnarbeiterin die zu einem Knoten gebundenen, silbern durchwirkten Haare. »Heilige Jungfrau und alle Heiligen – helft!«, brachte sie hervor. Dann stürzte sie die Treppe hinunter und lief zur Werkstatt hinüber. »Mirke, hast du den Herrn Lukas schon gesehen?« Überrascht blieb sie stehen, denn Lynhard stand neben der Arbeiterin. »Ach, Herr Lynhard! Euch schickt der Himmel.« Sie rang die Hände.
Dieser setzte ein charmantes Lächeln auf. »Gott zum Gruße, Minna. Ich warte auf meinen Bruder. Er scheint noch nicht daheim zu sein. Außerdem wollte ich meiner lieben Schwägerin und dem Kind einen Besuch abstatten. Mechthild wird später auch noch kommen.« Er zog die Brauen zusammen und musterte sie eingehend. »Aber Minna, du bist ja ganz weiß im Gesicht. Setz dich erst mal.« Er drückte die Ältere auf einen Hocker, der neben einem der Spinnräder stand. »Was ist denn los, altes Mädchen? Bist du dem Gottseibeiuns höchstpersönlich begegnet?«
Sie warf ihm einen düsteren Blick zu, verzieh ihm jedoch sofort seinen respektlosen Tonfall. Schließlich kannte sie ihn, seit er und sein Bruder kleine Kinder waren. »Ach, hört schon auf, Lynhard! Die junge Herrin fühlt sich nicht wohl. Die Wehfrau muss kommen.«
Lynhard fasste die Lohnarbeiterin hart an den Schultern. »Was sagst du da? Was ist mit Cristin?«
Die alte Frau verzog das Gesicht. »Ihr tut mir weh, Herr.«
»Dann sprich!«
Minna schluckte. »Die Deern hat Fieber. Und furchtbare Schmerzen.« Sie fuhr sich mit beiden Händen über die Augen. »Es ist schrecklich, sie so zu sehen. Was der Herr Bremer wohl sagen wird, wenn er heimkommt. Es ist zum Gotterbarmen.«
»Seit wann ist Cristin in diesem Zustand?«
»Seit heute Morgen, Herr.«
Einen Moment lang war es still in der Werkstatt. Selbst Mirke ließ die Arbeit ruhen und legte die Hände wie zum Gebet
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