Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
ohne auf die entsetzen Ausrufe der beiden Alten zu achten.
»Aber Herr Bremer! Ihr dürft hier nicht herein. Das ist Frauensache«, protestierte die Wehfrau.
Lukas’ Gesicht wurde hart. »Ist dies mein Haus oder nicht? Lasst mich vorbei.«
7
D urch einen Dunst aus Schmerz nahm sie verschwommen eine Gestalt wahr. »Mein Liebes! Geht es dir gut?« »Lukas«, murmelte Cristin kaum hörbar. Genau in diesem Moment erreichte sie die nächste Wehe, härter als jede andere zuvor. Wie von weit her vernahm sie aufgeregte Stimmen und schließlich das Geräusch der sich schließenden Tür. Lukas war da. Unerwartet spürte sie, wie neue Kraft durch ihren gemarterten Körper rann.
Es war tief in der Nacht, als die Geburtshelferin ihr den nackten, rotgesichtigen Säugling in die Arme legte.
»Es ist ein Mädchen«, verkündete Emma. »Ich habe sie gebadet und mit Salz abgerieben.«
Cristins Finger tasteten weiche Wärme. Die winzigen Hände waren zu Fäusten geballt, blaue Augen sahen ihr direkt ins Herz. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl drang durch den Dunst von Erschöpfung. Mit einem Mal war Cristin hellwach. Unendlich langsam beugte sie sich zu dem mit einem zarten rotblonden Flaum bedeckten Köpfchen hinab und hauchte einen Kuss auf die Stirn ihrer Tochter. »Elisabeth«, flüsterte sie. »Meine Elisabeth.«
Lukas war bis zum Morgengrauen bei ihr geblieben. Wie überwältigt und gerührt er gewesen war, als er das winzige Wesen das erste Mal im Arm hielt. Cristin hatte gelacht, weil Lukas so unbeholfen wirkte, als hielte er eine wertvolle Glasvase in den Händen, die jeden Moment zerbrechen könnte. Bis die Hebamme ihm seine Tochter energisch abgenommen und ihr an die Brust gelegt hatte. Cristin beobachtete, wie Elisabeth mit geschlossenen Augen, den rosigen Mund weit geöffnet, ihre Warze suchte, um kräftig daran zu saugen. Ein Ausruf der Überraschung drang aus ihrer Kehle, als ein kurzer, scharfer Schmerz sie durchzuckte. Dann lehnte Cristin sich aufatmend zurück und streichelte Elisabeth über den Kopf. Wie lang ihre Wimpern waren. Nachdem das Kind in ihrem Arm eingeschlafen war, machte sich auch bei ihr die Erschöpfung bemerkbar, und ihre Lider wurden schwer. Lukas’ liebevoller Kuss auf die Stirn und seine Beteuerung, so schnell wie möglich wieder bei ihr zu sein, nahm sie kaum noch wahr. Sanft glitt sie in einen Dämmerschlaf hinüber.
Leises Weinen weckte sie. Cristin blinzelte in das helle Sonnenlicht, das durch die Fenster auf ihr Gesicht fiel.
»Wie schön, Ihr seid wach«, rief Minna, die das Feuer neu schürte und sich nun lächelnd zu ihr umsah. »Wie geht es Euch, Frau Bremer? Das Kind hat schon wieder Hunger.«
»Danke, es geht mir gut«, murmelte Cristin schlaftrunken.
Mühsam richtete sie sich auf und beugte sich zu dem reich verzierten Holzbettchen hinüber, aus dem die Stimme ihres Kindes immer fordernder zu ihr herüberdrang. Elisabeth. Erschöpft und mit einem unterdrückten Stöhnen sank sie in die Kissen zurück. Wie oft hatte sie das aufgeregte Geschwätz der Nachbarn oder von Geschäftsfreunden gehört, die von einer großen Kinderschar träumten. Ach, was wussten sie schon von der Mühsal und den Qualen, die eine Frau durchzustehen hatte, bis sie ihr Kind im Arm hielt? Wenn sie daran dachte, möglicherweise fünf oder mehr Kinder … Während sie ihr Untergewand hochschob, zog ein feiner Schmerz durch ihren Leib. Doch Cristin lächelte, als ihr die ältere Spinnerin Elisabeth, die nun aus kräftiger Kehle und mit hochrotem Kopf schrie, in den Arm legte. Beruhigende Worte murmelnd, drückte sie das wild zappelnde Kind an die Brust. Vielerlei Gefahren lauerten auf Elisabeths Weg. Würden sie es schaffen, die Kleine vor Leid, Krankheit und Unheil zu beschützen? Sie wusste, ein Großteil der Kinder wurde keine fünf Jahre alt. Ihre Hände zitterten, während sie der Kleinen zärtlich über den Rücken strich. Kein Leid soll ihr geschehen, schwor sie sich. Cristin pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wischte mit einer Hand den Schweiß von der Stirn. »Minna, es ist stickig hier. Kannst du bitte das Fenster öffnen?«
Die Lohnarbeiterin hob den Kopf. »Aber Herrin, draußen ist es bitterkalt!« Sie stemmte die Hände in die fülligen Hüften. »Ich schicke nach Mirke, sie wird Euch etwas zu trinken bringen. Euch wird sicher dürsten. Außerdem habt Ihr kaum etwas gegessen.«
»Ich habe keinen Hunger, Minna«, erwiderte Cristin, ohne die Augen von dem rosigen
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