Die Gordum-Verschwörung
den Kopf seinen Händen. Er glaubte, Müdigkeit und Erschöpfung zu spüren, sehnte sich nach Mona, ihrer Stimme, ihrem Körper, ihrem Widerspruch, ihren Zweifeln, ihren Eingebungen. Jetzt mit ihr am Strand irgendeiner griechischen Insel liegen, ihr das Salz von der Haut lecken, ohne Zeitlimit ein Buch lesen, mit ihr über den wie immer anders gedeuteten Inhalt streiten, eiskalten Retsina trinken, dessen harziger Beigeschmack nur dort wirklich schmeckte. So banal Greven diesen Traum auch fand, denn er war sich sicher, dass er von vielen ähnlich geträumt wurde und zur Standardidee von Werbeagenturen zählte, er hatte keinen anderen parat. Und so träumte er ihn weiter, eingegraben in seine Handflächen, die ihn für kurze Zeit abschirmten und ihm Halt boten.
Urlaub hatte er erst für den September eingereicht, denn den Sommer über tingelte Mona von Ausstellung zu Ausstellung, focht mit Galeristen um Preise und Prozente, um Stellwände und Pressetexte. So war es jedes Jahr. Erst im September, nach einer langen, zu langen Saison, konnten sie an Flucht denken, doch reichten die drei Wochen, die ihnen Dienstpläne und der Kunstmarkt gewährten, kaum aus, um ihre Schutzschilde zu regenerieren.
„Alles o.k.? Geht’s dir gut?“ Unvermittelt stand Häring vor ihm, holte ihn aus dem griechischen Inselsand, in den er sich verkrochen hatte, riss seinen roten Kopf aus der Geborgenheit.
„Alles klar. Musste nur kurz mal abschalten“, murrte Greven. „Was gibt’s?“
„Rick van’t Kerk ist am Tag vor dem Mord in Greetsiel gesehen worden. Ackermann und Jaspers haben einen zuverlässigen Zeugen aufgetrieben. Sie haben sein Bild aus der Kartei der Kollegen vom Rauschgift im Hafenkieker und im Yachthafen rumgezeigt.“
„Sehr gut“, sagte Greven, „endlich einmal eine konkrete Spur. Lass gleich die Fahndung raus. Mit diesem Holländer müssen wir uns dringend unterhalten. Vielleicht ist die Sache ja doch viel einfacher, als ich dachte.“
8. Kapitel
Und warum haben Sie sich dann nicht umgehend bei der Polizei gemeldet?“
„Weil ich bislang noch keine guten Erfahrungen mit der Polizei gemacht habe.“
„Wenn Sie hier nicht über jede Minute detailliert Auskunft geben, sehen Sie Delfzijl so schnell nicht wieder. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Hier geht es um Mord, nicht um ein paar Gramm Shit!“
„Aber ich sage Ihnen doch, ich habe Harm nicht getötet. Wa-rum auch? Er war ein guter Freund. O.k., ich war am letzten Samstag in Greetsiel, ich habe Harm besucht und ihm ein paar Gramm mitgebracht. Aber ermordet habe ich ihn nicht.“
„Wo waren Sie am Samstag zwischen 20 und 23 Uhr?“
„Das habe ich Ihnen auch schon öfter gesagt. Auf irgendeiner Autobahnauffahrt zwischen Emden und Oldenburg.“
„Und was haben Sie da gemacht?“
„Auf die Straße gepisst.“
„Ich bitte Sie!“
„Zum letzten Mal: den Daumen in den Wind gehalten.“
Rick van’t Kerk war nach nur zwei Tagen Fahndung bei einer Razzia in einer Oldenburger Diskothek festgenommen worden. In seinem Rucksack befanden sich, sorgsam verstaut in den Aluminiumrohren des Tragegestells, einundzwanzig Gramm Haschisch und fünfundfünfzig Ecstasy-Pillen. Kein großer Fang, aber immerhin.
Greven beobachtete ihn, während Häring und Ackermann ihn verhörten, eine Taktik, die sich schon in vielen Fällen bewährt hatte. Zum einen machte der stumme Unbeteiligte den Delinquenten nervös, zum anderen konnte Greven jede Verhaltensänderung, jede mimische Regung und jede Reaktion auf die Fragen genau registrieren.
Der Holländer war für einen kleinen Dealer, der ohne Auto durch die Lande zog, nicht übel gekleidet, jedenfalls in Grevens Augen. Er trug eine neue und saubere Jeans, Westernstiefel, ein Jeanshemd, das Greven nicht schlecht gefiel, und eine dunkelbraune Lederjacke. Er war schlank, fast mager, seine langen, glatten Haare ließen ihn wie Harm als Zeitreisenden aus den siebziger Jahren erscheinen. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch eine Halskette, an der ein großer Peace-Anhänger baumelte, sowie diverse Ringe und Armbänder.
War er der Mörder von Harm? Greven hängte sich an seine Lippen, vergrub sich in seine Augen, fixierte seine Hände, die auf seinen Oberschenkeln ruhten. Seit vielen Jahren schon, das hatte Jaspers in Greetsiel herausgefunden, hatte Harm immer wieder Besuch von Rick van’t Kerk erhalten, der gelegentlich auch mit mehreren Freunden angereist kam. Besonders waren diese Besuche, wie konnte es
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