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Die Gordum-Verschwörung

Die Gordum-Verschwörung

Titel: Die Gordum-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Flessner
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einmal malte, sah ihre feuchten Augen, sah, wie sie zweifelte, fluchte und sich mit Farbe, Pinsel und Spachtel so lange quälte, bis sie halbwegs zufrieden war, bis sie den Malprozess abbrach, wie sie es nannte, weil mehr für sie nicht zu erreichen war.
    Erst nach Mitternacht entließ die Kunsthalle sie in die warme Sommernacht. „Kannst du noch fahren?“, fragte Mona, als sie nach kurzer Suche vor ihrem Auto standen.
    „Nein“, antwortete Greven, schloss die Tür auf und setzte sich hinters Lenkrad. Champagnerbeflügelt, aber langsam chauffierte er Mona auf sicheren Schleichwegen nach Hause. Ihr Atelier, sonst vollgestopft mit Bildern, empfing sie ungewohnt leer. Erst jetzt war die eigentliche Größe der Gründerzeitvilla zu erkennen, die Mona vor einigen Jahren gekauft hatte, erst jetzt kamen die fast drei Meter hohen Wände zur Geltung, die ohne ihre großen Bilder ihr schmutziges Weiß zeigten, mit Farbspritzern, den Bahnen ausgestrichener Pinsel und den Spuren von Wutausbrüchen, die die Wände hatten erdulden müssen.
    Vor einigen frisch aufgezogenen, jungfräulichen Leinwänden stand auf einer Staffelei ein kleineres Bild, vielleicht im Format anderthalb mal zwei Meter, zugedeckt mit einem weißen Leinentuch, das Grevens Aufmerksamkeit bislang entgangen war.
    „Jetzt sag bloß, du bereitest schon die nächste Ausstellung vor?“
    „Nein“, antwortete Mona, „das ist bloß ein Spaß, eine Art Experiment.“
    „Darf ich?“
    Mona nickte.
    Als Greven das Leinentuch nach hinten schlug, tauchte vor ihm die vage Silhouette einer mittelalterlichen Stadt auf, mit einem Stift andeutungsweise auf die Leinwand gezeichnet. Türme und Zinnen waren zu erkennen, Tore und Brücken, ein Segelschiff, noch ohne Rumpf, steuerte auf eine unvollendete Hafeneinfahrt zu. Eine Skizze, ein paar Striche, weiter nichts, aber bereits faszinierend.
    „Was soll das denn werden? Hogwarts?“
    „Gordum!“
    „Aber woher weißt du denn, wie Gordum ausgesehen hat?“
    „Weiß ich nicht. Aber genau aus diesem Grund male ich ja dieses Bild.“
    Am Montag fuhr Greven quer durch die Provinz. Er liebte Umwege, wenn sie sich anboten, und hatte heute den über Dornum gewählt. Zwar war man über Georgsheil schneller, doch die alternative Route war landschaftlich weitaus schöner, man streifte das Moor, konnte das Ewige Meer ahnen und, sofern man von Dornum nach Dornumergrode abbog, am Deich entlang bis nach Norddeich fahren. Dort war der Zauber dann allerdings vorbei. Bis dahin aber konnte man spüren, was Ostfriesland wirklich ausmachte, meinte er zumindest. Einzelne Höfe, das alte Rot vor langer Zeit gebrannter Klinker, Dörfer, die nicht im Würgegriff von Neubaugürteln erstickten, eine Weite, die nur durch den Deich im Zaum gehalten wurde.
    Er erreichte Dornum, die Keimzelle der Marx Brothers, seiner Lieblingskomiker. Die Spuren der Familie von Groucho, Harpo, Chico, Zeppo und Gummo waren hier jedoch nicht zu finden. Niemand hatte sich je wirklich darum bemüht. Warum dies so war, wusste er nicht, nur, dass man in Dornum offensichtlich keinen großen Wert darauf legte, die Herkunft der fünf Brüder zu sein. Vor über hundert Jahren war die Familie, die von der Kleinkunst lebte, nach Amerika ausgewandert. Nach New York. Aus der tiefsten Provinz in ihr wohl krassestes Gegenteil.
    Greven fuhr gern quer durch die Provinz. Die erstaunlichste Eigenschaft der Provinz bestand für ihn darin, dass es sie noch immer gab, dass sie sich als bedingt resistent erwiesen hatte gegenüber dem Zugriff des Urbanen und Globalen. Diese Noch-Existenz, die ihn immer wieder aufs Neue verblüffte, verdankte sie nicht ihrer Abgeschiedenheit, denn die gab es längst nicht mehr, sondern einer schwer zu fassenden Trägheit, einer zähen Beharrlichkeit, mit der sie sich gegen die Eingemeindung in das globalisierte Weltdorf stemmte. Natürlich blieb die Provinz Teil der Welt und konnte sich ihren Bewegungen auch nicht entziehen, doch beharrten viele ihrer Bewohner auf dem Standpunkt, dass diese Bewegungen für sie nicht von allzu großer Bedeutung seien.
    Als Schüler hatte Greven unter dieser Trägheit zwar auch schon gelitten, doch waren die Gedanken daran nach und nach versandet. Der Rücksturz in seine alte Heimat hatte ihm die Trägheit der Provinz wieder deutlich in Erinnerung gerufen. Schnell hatte er feststellen müssen, dass Phänomene oder Thesen, die andernorts wild diskutiert wurden, hier kaum jemanden zu interessieren schienen. Man beteiligte sich

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