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Die Gordum-Verschwörung

Die Gordum-Verschwörung

Titel: Die Gordum-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Flessner
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eine kurze Ansprache vorbereitet, die sie von einem Bogen Briefpapier ablas. Kurz ging sie noch auf die Sichtweise des Pastors ein, dann skizzierte sie mit wenigen Worten den Toten, unsentimental, nicht ohne Kritik, aber warm und treffend. Flache Hände und Fingergelenke klopften Beifall auf der Tischplatte. Niemand hatte ihr das zugetraut, schon gar nicht Greven, der mehrfach versuchte, ihre Augen zu erreichen. Als es ihm endlich gelang, war von Angst keine Spur mehr, eher wirkte sie entschlossen und, der Beerdigung zum Trotz, gut gelaunt. Mehr konnte er nicht erfassen, denn Gesine mied den Blickkontakt mit ihm. Deutlich spürte er die Distanz, an der sie arbeitete, und die er sich nicht erklären konnte.
    Der nächste Punkt der Tagesordnung waren einige Anekdoten aus dem Leben des Verstorbenen und die good old times. Ralf rief in Erinnerung, wie Harm die Abiturfete in Norddeich mit allem Notwendigen versorgt hatte. Fünf Einkaufswagen, die er kurz zuvor zufällig bei Aldi gefunden hatte, wurden von ihm mit einem Bolzenschneider, einer beachtlichen Zange und einem mittelschweren Hammer in fünf ausgezeichnete und dazu noch fahrbare Holzkohlengrills verwandelt. Die von ihm designten Grills waren zudem ein so großer Erfolg, dass Aldi und er in den nächsten Wochen den halben Abiturjahrgang mit den praktischen und preiswerten Geräten versorgen mussten.
    Und Harms Stecker. Wie war das noch? War das nicht in der alten Zingelschule, die längst abgerissen worden war? Er hatte die beiden Kontakte durch einen starken Kupferdraht verbunden und konnte, natürlich nur im Winter, die Lateinstunden von Hasemann oder Nuhr vorzeitig beenden. Gerade an Montagen, wenn Nuhr die Klasse mit einem Quickie, wie er seine unangekündigten Vokabeltests nannte, zur Räson bringen wollte, griff Harm oft zu seinem Notschalter. In der letzten Reihe sitzend, brauchte er sich nur zurückzulehnen und den Stecker in die genau hinter ihm befindliche Steckdose zu schieben. Dieser Kontaktfreudigkeit waren die alten Porzellansicherungen nicht gewachsen. An manchen Lateinmorgen kämpfte der Hausmeister mit einer ganzen Packung gegen die Dunkelheit, ehe er ihr nachgab, um im Hauptgebäude des Ulrichsgymnasiums nachzurüsten. Die Geschäfte waren ja noch geschlossen. Doch für Nuhrs Quickie kam jede Hilfe zu spät. Die obligate Taschenlampe schwenkend, verfluchte der Choleriker das betagte Schulgebäude, das den achten und neunten Klassen als Ausweichquartier diente, während das Hauptgebäude umgebaut wurde.
    Und die Zeichenstunden bei Frau von Hildegard. Wisst ihr noch? Wie oft wir im Sommer die Ludgerikirche zeichnen mussten? Grabsteine, Trauerweiden und Backsteingotik. Kaum waren alle auf dem alten Friedhof ausgeschwärmt, schlich sich Uwe zu Feinkost-Wolberg, um Rotwein zu organisieren. Amselfelder. Mit Schraubverschluss. Dann lagen wir im Gras, sprachen mit den Toten, deren Namen auf den alten Steinen kaum noch zu entziffern waren, spielten Flaschendrehen, knutschten, kopierten fehlende Hausaufgaben, lasen Jerry Rubins Do It oder Maos Vier philosophische Monographien . Apropos Mao. Wie hieß noch gleich sein Informationsminister? Richtig: Wan Dzei Tung. Und sein Verkehrsminister? Um Lei Tung. Und sein Energieminister? Oel Hei Zung. Und sein Gesundheitsminister? Na? Na?
    Doch irgendwann tauchte von Hildegard aus den Gräbern auf und fuhr uns in die Träume. Sie dürstete nicht nach billigem Rotwein, sondern nach Gotik, mit Kohle zu Papier gebracht, perspektivisch genau, so, wie wir es bei ihr gelernt hatten. Dann kullerten leere Flaschen ins hohe Gras, staubten Kohlestifte über die Zeichenblöcke und errichteten in Windeseile Ruinen, die von Hildegard nicht selten mehr begeisterten als die braven Fensterbogen der Nüchternen. Die Kunst ist auf unserer Seite, hatte Harm immer gesagt. Die Kunst ist auf unserer Seite.
    Die nächsten Biere wurden bestellt, die nächste Erinnerung aufgetischt, das nächste „Wisst ihr noch?“ serviert. Mann, waren das Zeiten! Wie lange ist das her? War Harm damals überhaupt dabei? Dann war die Rückschau beendet. Nach einer kurzen Pinkelpause stellte ausgerechnet Gesine die von Greven gefürchtete Frage in den Raum. Sie schob sie bewusst provokativ über den Tisch, servierte sie kalt, ohne ihn direkt anzusprechen, doch richteten sich sofort alle Blicke auf ihn. Da er mit der Frage gerechnet hatte, wenn auch nicht mit dem scharfen Ton, war er gut vorbereitet. In einem kurzen Statement vermied er jegliche Details,

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