Die Gottessucherin
wir Gott danken!«
»Nur Geld? Hast du Antonio della Rogna vergessen? Die ganze Familie haben sie davongejagt, aus ihrem eigenen Haus! Bloß weil man sie erwischt hat, wie sie am Freitag Fleisch gegessen haben.«
»Aber Dom Diogo! Sag endlich, was mit Diogo ist?«
»Ich habe keine Ahnung. Sie haben ihn mitgenommen. Er hatte kaum Zeit, sich anzuziehen.«
»Das ist ja fürchterlich!«
»Glaubst du, dass sie ihn dort behalten? Er hat gesagt, ich soll mir keine Sorgen machen. Dich hätten sie ja auch freigelassen, noch am selben Tag.«
»Das beweist überhaupt nichts! Ich weiß nicht, warum, aber ich habe das Gefühl, diesmal wird es schlimmer.«
»Willst du mir noch mehr Angst machen? Nein, ich bin sicher, sie haben es nur auf unser Geld abgesehen!«
»Herrje, wo sind nur meine Schuhe?«
»Schrei mich nicht so an! Ich hab sie nicht versteckt!« Brianda stutzte. »Aber was hast du? Du zitterst ja am ganzen Körper!« Tatsächlich - Gracia konnte kaum ihre Hände unter Kontrolle halten, während sie versuchte, den Rock zuzuknöpfen, und ihre Knie waren weich wie Wachs. So hatte sie schon einmal gefühlt, vor vielen Jahren in Lissabon, als die Garde des Königs Francisco abgeführt hatte. Briandas Augen wurden größer und größer. »Hast du solche Angst?«, staunte sie. »Um Diogo? Deinen Schwager?« Bevor Gracia antworten konnte, klopfte es an der Tür. Im nächsten Moment kam Lena herein, die flämische Köchin, mit einem Paar Schuhe in der Hand. »Sucht Ihr die?« »Gib schon her!«
Gracia schlüpfte in die Schuhe, doch ihre Hände zitterten immer noch so sehr, dass sie die Riemen kaum schnüren konnte.
»Ich habe es gewusst«, schluchzte Brianda. »Ich habe es gewusst, von Anfang an.« Auf einmal sprang sie auf, packte Gracia an den Schultern und schüttelte sie. »Das ist alles deine Schuld! Deine Schuld - hörst du?«
»Bist du verrückt geworden?«
»Bring das in Ordnung, Gracia! Du hast uns das eingebrockt! Also bring das in Ordnung - zum Teufel noch mal!«
1
6
Der Tag graute kaum, und nur ein paar Betschwestern huschten in schwarzen Gewändern durch die nebelverhangenen Gassen von Antwerpen, zur ersten Frühmesse, da eilte Gracia vom Groenplaats in die Kloosterstraat, wo der kaiserliche Converso-Kommissar in einem mit zierlichen Türmchen und Zinnen bewehrten Backsteinhaus residierte. Fröstelte sie vor Kälte oder vor Angst?
Als sie den schweren Türklopfer betätigte, sah sie noch den verblassenden Mond am Himmel. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ein Diener erschien. Offenbar war er gerade erst aufgestanden, er stopfte noch sein Hemd in die Hosen. »Ich muss mit Senhor Aragon sprechen.«
Bevor der Diener sie zurückweisen konnte, stieß sie ihn beiseite und betrat den Hausflur.
»Oh, Dona Gracia? Ein Besuch zu dieser frühen Stunde?« Am Ende des Ganges öffnete sich eine Tür, und Aragon erschien, trotz der nachtschlafenden Zeit im seidenen Mantel, das Haar nach spanischer Mode mit Öl frisiert.
Offensichtlich war er noch gar nicht im Bett gewesen. In dem erleuchteten Zimmer hinter ihm flüchteten zwei nackte Mädchen vor Gracias Blicken.
»Was verschafft mir die Ehre?«, erkundigte er sich und schloss die Tür in seinem Rücken.
»Ich verlange die Freilassung meines Schwagers Diogo Mendes.« Aragon hob die Brauen. »Dann ist es also schon geschehen?«, fragte er. »Ich hatte so sehr gehofft, dass ...« »Wie einen Verbrecher haben sie ihn fortgeschleppt, mitten in der Nacht. Dabei gibt es nicht den geringsten Grund ...« »Bitte beruhigt Euch. Ihr braucht mich nicht zu überzeugen. Ich bin auf Eurer Seite und habe alles versucht, um dieses Unrecht zu verhindern. Allem Anschein nach ist es mir aber nicht gelungen. Leider.«
»Wie bitte?«, erwiderte Gracia verwundert. »Ihr haltet die Verhaftung für Unrecht?«
»Gewiss. Ihr sagtet ja selbst, es gibt nicht den geringsten Grund, und ich teile Eure Meinung. Aber kommt bitte herein. Wir wollen uns doch nicht hier im Stehen unterhalten.« Er führte sie in eine Stube, in der es aussah wie in einem portugiesischen Haus. Der Fußboden, die Wände, die Decke waren mit weißen und blauen Kacheln gefliest, in denen sich der Schein der Kerzen brach. Während der Diener den Leuchter auf einen Tisch stellte, bot Aragon ihr Platz an. Nie und nimmer hätte Gracia solches Entgegenkommen von ihm erwartet. Mit einem Anflug von Hoffnung erwiderte sie seinen Blick. »Bitte helft Dom Diogo«, sagte sie. »Er ... er ist Euer Freund.« »Ja, das ist
Weitere Kostenlose Bücher