Die Gottessucherin
Gefühl vergessen, dieses Gefühl in ihren Armen, als sein Widerstand endlich brach und sein Körper zurücksank auf das Bett ...
Mit einem Seufzer beugte sie sich über den Folianten und begann zu lesen. Das Kapitel, das sie suchte, gehörte zu einer Sammlung von Fällen, Curationes genannt, die Amatus Lusitanus im Laufe seiner ärztlichen Praxis selbst studiert und erfolgreich behandelt hatte. Ausführlich beschrieb er die Symptome der Krankheit, die er vorwiegend bei jungen Frauen beobachtet hatte, namentlich bei Nonnen und Witwen: Blutarmut gehörte dazu, Herzrasen, Ermüdung und Mattigkeit, plötzlicher Wechsel von Hitze und Kälte.
Gracia runzelte die Stirn. Es war, als würde sie die Beschreibung ihrer eigenen kleinen alltäglichen Beschwerden lesen. Wie konnte Amatus davon wissen? Doch als sie zu dem Abschnitt gelangte, in dem er auf die Ursache der Erscheinungen zu sprechen kam, hatte sie plötzlich das Gefühl, als würden sich alle Symptome auf einmal in ihrem Körper regen. Die Ursache der Nonnenkrankheit, so erfuhr sie mit stockendem Atem, gründe vor allem in einem ungesunden und widernatürlichen Mangel junger Frauen an Geschlechtsverkehr ...
Gracia blickte auf die feuchten Innenflächen ihrer Hände. Galt das auch für sie?
Plötzlich entstand Unruhe im Haus. Jemand pochte von draußen ans Tor, Rufe wurden laut, und gleich darauf hörte Gracia dröhnende Stiefelschritte.
Sie eilte zur Tür und schaute von der Galerie hinunter in die Halle. Ein Dutzend Soldaten hatte sich vor dem Tor postiert, alle Treppen und Abgänge waren besetzt. Niemand konnte herein oder heraus.
Ein Offizier streckte ihr ein Dokument entgegen und rief ihr auf Flämisch grobe, schmatzende Laute zu, die nach Butterkuchen klangen. Erst beim dritten Mal verstand Gracia den Mann. »Ich habe Befehl, das Haus zu durchsuchen! Ihr werdet beschuldigt, Juden zu verstecken!«
14
»Was wollt Ihr, dass ich sage?« »Die Wahrheit!«
»Aber ich weiß nicht, was man mir vorwirft!« »Die Wahrheit!«
Cornelius Scheppering war leichenblass, seine Knie zitterten, und kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn, als er mit einem Kopfnicken dem Folterknecht Anweisung gab, den Strick, der in scharfen, engen Schlaufen um den nackten Leib des Delinquenten geschlungen war, mit Hilfe eines Rades noch eine Drehung enger zu schrauben. Ein böses Knirschen und Knacken zeugte davon, dass der Befehl ausgeführt wurde. »Erbarmen!«
Samuel Usque, der junge Mann, der auf der Folterbank lag, schrie vor Schmerz wie am Spieß, und sein Gesicht verzerrte sich zur Fratze, während der Strick so tief in sein Fleisch schnitt, dass die Haut aufplatzte und das Blut darunter hervorspritzte. Cornelius Scheppering wandte die Augen ab. Der Anblick menschlichen Leids war seinem zarten Gemüt unerträglich, und wann immer er es vermeiden konnte, einem Sünder vermittels der Folter die Wahrheit abzupressen, verzichtete er auf diese Barbarei. Doch in diesem Fall blieb ihm kein anderes Instrument zur Wahrheitsfindung übrig, auch wenn er die Qualen des Delinquenten am eigenen Leib zu spüren glaubte. Allein, was zählte seine Selbstüberwindung im Vergleich zu jenem Leidensopfer, das Jesus Christus am Kreuz von Golgatha zum Wohl der Menschheit auf sich genommen hatte? Er war ein folgsamer Gottesknecht und musste dem Willen des Herrn gehorchen, wenn sein Plan nicht kläglich scheitern sollte.
»Erbarmen!«, schrie Samuel wieder. »Sagt, was ich gestehen soll!«
Wie glücklich war Cornelius Scheppering noch vor wenigen Tagen gewesen. Gott hatte sein Flehen erhört und ihm einen Zeugen geschickt, einen rotgesichtigen Dienstboten der Antichristin, der ihm einen unerhörten Vorfall angezeigt hatte. Geblendet von ihrer Macht und ihrem Hochmut, hatte Gracia Mendes jüdischen Flüchtlingen Unterschlupf gewährt, in ihrem eigenen Haus - ein unwiderlegbarer Beweis, um der Firma Mendes und ihrer heimlichen Chefin den Garaus zu machen. Doch kaum hatte ein Kommando der Garde in Cornelius Schepperings Auftrag das Verschwörernest ausgehoben und die Teufelin dingfest gemacht, war ihm Aragon in die Quere gekommen und hatte kraft seines Amtes als kaiserlicher Converso-Kommissar die Freilassung des verfluchten Weibes erzwungen - nur eine Stunde nach ihrer Festnahme. Seitdem hielt Cornelius sich an die Flüchtlinge, die in der Haft zurückgeblieben waren, um aus ihnen so viel Wahrheit herauszuquetschen, wie es Gott dem Herrn in seiner Güte gefiel.
»Gestehe, was du getan hast!«
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