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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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zu schaffen machte. Aber ach, selbst einem frommen Gottesknecht wie ihm war es in dieser Lage unmöglich, die Sinne uneingeschränkt auf das Gebet zu richten. Denn alle Augenblicke fuhren die Schmerzen wie scharfe, helle Blitze in sein Fleisch, und es dauerte eine qualvolle Ewigkeit, bis die Untersuchung ein Ende hatte.
    »Die Ursache ist eine entzündliche Verengung der Harnröhre«, erklärte der Arzt, als er sich schließlich aufrichtete und Cornelius Schepperings Blöße wieder bedeckte. »Und diese wiederum ist Folge wuchernder Fleischauswüchse.«
    »Glaubt Ihr, Ihr könnt das Elend kurieren? Die Schmerzen sind unerträglich.«
    »Das kommt auf die Ursache an. Die Wucherungen können von den verschiedenartigsten Leiden herrühren. Von fehlerhafter Säftemischung, von anhaltender Ausscheidung eitrigen Harns, von einem Abszess - oder aber ...«
    »Ja?«
    Der Arzt wich seinem Blick aus. »Bevor ich ein abschließendes Urteil äußere, muss ich noch einige Fragen klären. Aber bitte, nehmt doch Platz.«
    Cornelius Scheppering setzte sich auf den Stuhl, den Amatus Lusitanus herbeirückte. Eigentlich hatte er nach Brüssel reisen wollen, um der Regentin seine Pläne für den zweiten Schritt ihres gemeinsamen Unternehmens darzulegen. Jetzt ging es um die Verheiratung Jan van der Meulens mit Reyna Mendes, damit die Geldquelle, die mit der Verhaftung von Diogo Mendes abgeschnitten war, für Kaiser Karl aufs Neue sprudeln könnte. Doch seine Beschwerden hatten in einem solchen Maß zugenommen, dass an eine Reise nicht zu denken war, weshalb er nun, statt seine Mission voranzutreiben, den Leib, den Gott der Herr ihm geschenkt hatte, den Berührungen eines Juden aussetzen musste. Allein, sein Beichtvater hatte ihm befohlen, der Gesundheit Vorrang vor allen Bedenken zu geben. Amatus Lusitanus galt als bester Arzt in der Stadt, außerdem war er ein getaufter Christ, der jeden Sonntag die Messe besuchte, und Cornelius Schepperings Tatkraft war ein zu kostbares Gut, als dass man es wegen kleinlicher Glaubensfragen gefährden durfte. Trotzdem hatte Cornelius ein mehr als ungutes Gefühl. Während er hier diese peinliche Untersuchung ertrug, konnte andernorts sein Rivale Aragon die Zeit nutzen, um auf die Regentin oder gar den Kaiser einzuwirken. Der Converso-Kommissar hatte nicht nur Einsicht in alle Akten des Falles Mendes, er war auch dem inhaftierten Firmenchef persönlich verbunden, und nachdem er bereits dafür gesorgt hatte, dass die Teufelin ihrer gerechten Strafe entkommen war, konnte niemand wissen, welche Schändlichkeiten sein eitles Pfauenhirn wohl noch ausbrüten mochte.
    »Leidet Ihr an fiebrigen Kopf- oder Gliederschmerzen?«, fragte der Arzt.
    »Jetzt nicht mehr, Gott sei Dank«, antwortete Cornelius Scheppering. »Aber vor Jahren, als ich Missionsdienst in Amerika tat, die sumpfigen Ausdünstungen am Amazonas ...« »Oh, Ihr wart in Amerika? Sehr aufschlussreich.« Amatus Lusitanus machte sich eine Notiz. »Habt Ihr damals Exantheme beobachtet?« »Exantheme?«
    »Hautausschläge, vor allem in den Hautfalten.«
    »Ja, ich erinnere mich. Rötliche Flecken und Pusteln. Sie sind aber von allein wieder weggegangen, und gejuckt haben sie auch nicht.«
    »Das war die Phase, in der Ihr die Krankheit übertragen konntet. Diese Phase ist also längst vorüber. Haben die Pusteln genässt, wenn sie aufgingen?«
    »Ja, vielleicht, mag sein, so genau weiß ich das nicht mehr, das ist zu lange her. Aber was hat das alles mit meinem jetzigen Leiden zu tun?«
    »Nur noch eine Frage. Und bitte verzeiht mir, dass ich sie überhaupt stelle. Aber es muss sein, zu Eurer Sicherheit.« Der Arzt machte eine kurze Pause und blickte ihn so eindringlich an, dass Cornelius Scheppering unbehaglich wurde. »Seht Ihr manchmal Dinge, die - wie soll ich mich ausdrücken? - gar nicht da sind?« »Dinge, die nicht da sind?«, erwiderte Cornelius Scheppering verwirrt. »Wie soll das gehen?«
    »Ich will damit sagen«, erklärte Amatus Lusitanus, »dass Ihr vielleicht manche Dinge deutlicher und schärfer erkennt als andere Menschen.«
    »Ich habe keinen Grund, über mein Augenlicht zu klagen. In der Tat, ich sehe ausgezeichnet. Auch bei größter Dunkelheit, wenn die meisten meiner Brüder die Gebete nur noch memorieren können, kann ich mühelos in meinem Brevier lesen.« »Das wundert mich nicht. Und diese Überschärfe Eurer Sehkraft - hat die vielleicht mitunter eine Überschärfe Eurer allgemeinen Wahrnehmungskraft zur Folge? Dass Ihr also

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