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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Dinge seht, die Euren Brüdern verborgen bleiben?«
    »Ah«, rief Cornelius Scheppering, endlich begreifend. »Ihr meint Erscheinungen? Gesichte?« »Wenn Ihr es so nennen wollt.«
    Cornelius Scheppering nickte. »Ja«, bestätigte er, »diese Gnade wurde mir schon manches Mal zuteil, vornehmlich in Gestalt der Heiligen Jungfrau Maria.«
    »Das heißt, Ihr bildet Euch ein, die Muttergottes zu sehen?« »Von Einbildung kann keine Rede sein! Wenn die Jungfrau mir die Gnade erweist, sich mir zu zeigen, dann ist ihr Gesicht wirklicher und wahrhaftiger als jedes Gaukelspiel und Blendwerk der Sinne. Doch zum letzten Mal - wozu stellt Ihr all diese Fragen ?« Der Arzt klappte seinen Aktendeckel zu. Täuschte Cornelius Scheppering sich, oder spielte da ein Lächeln im Gesicht des Juden, als er sich endlich zu einer Auskunft bequemte? »Ich denke, die Diagnose ist eindeutig. Ein Fall von Morbus gallicum.«
    »Ich habe von einer Krankheit dieses Namens nie gehört.« »Bekannter ist sie unter einem anderen Namen«, erklärte Amatus Lusitanus. »Syphilis - auch die Geißel Gottes genannt.« »Was fällt dir ein, Judenbengel?«, rief Cornelius Scheppering und sprang auf. »Ich bin ein Mann des Glaubens!« »Und ich bin ein Mann der Wissenschaft. Die Symptome erlauben keinen Zweifel. Die Krankheit ist mit Christoph Kolumbus und seinen Männern von Amerika nach Europa gelangt, sie stammt also von ebenjenem Ort, wo Ihr als Missionar tätig wart. Aber wenn Ihr mir nicht glaubt und noch eines Beweises bedürft ...« »Hütet Eure Zunge!«
    »... typisch für die Syphilis in Eurem Stadium ist eine Steigerung des Geschlechtstriebs. Ich möchte wetten, dass Ihr auch unter diesem Symptom leidet. Habe ich recht?« Cornelius Scheppering wollte protestieren, aber die Worte erstarben auf seinen Lippen. Die Geißel Gottes ... Die Nachricht war so fürchterlich, dass sie ihn mehr schmerzte als jede körperliche Pein. Alle Wahrheiten, alle Gewissheiten, an die er sich sein Leben lang gehalten hatte, waren erschüttert, und es wurde ihm schwindlig, so schwarz und tief war der Abgrund, in den er schaute. Aber durfte er leugnen, was nicht zu leugnen war? Ohnmächtig sank er zurück auf den Stuhl. Die Einflüsterungen der Schlange, endlich konnte er sie deuten ... Die Krankheit hatte ihn um den Verstand gebracht, den Gottesfunken in ihm ausgelöscht, in den Stunden seiner Verwirrung - am Ufer des Amazonas, in der Rua Nova dos Mercadores in Lissabon. Durch sie hatte der Teufel ihn zur schrecklichsten aller Sünden verführen können und ihm das Bildnis der Muttergottes vorgegaukelt, im Gesicht eines verfluchten Judenweibs, damit er sich mit ihrem Fleisch vereine. Welche Gefahren hielt diese Krankheit noch für ihn bereit?
    So leise, dass er seine eigene Stimme nicht erkannte, fragte Cornelius Scheppering den Arzt: »Könnt Ihr mich heilen?« »Ich habe in mehreren Fällen gute Ergebnisse mit Quecksilbereinreibungen erzielt, besonders in Verbindung mit der Einnahme eines Chinawurzeltranks.« »In mehreren Fällen? Nicht in allen?« Amatus Lusitanus schüttelte den Kopf. »Leider nein.« »Und wenn die Kur nicht hilft?«
    Der Arzt holte tief Luft. »Dann bleibt noch die Möglichkeit eines chirurgischen Eingriffs.«
     

18
     
    Sankt Paul, die Ordenskirche der Dominikaner, lag keine hundert Schritte vom Steen entfernt, hinter dessen dicken Mauern Diogo Mendes seit seiner Verhaftung unter Arrest gehalten wurde. Jeden Mittag, wenn die Glocke zur vollen Stunde anschlug, um mit eisernem Klang daran zu erinnern, dass hier die wahren Diener des Herrn regierten, brachte sein Wärter Pieter ihm das Essen.
    Angewidert verzog Diogo das Gesicht. In dem tönernen Napf, inmitten einer dampfenden Kelle Weißkohl, kringelte sich ein Ring mit prallen, fetten Schweinswürsten. Schon von dem Anblick wurde ihm übel.
    »Verdammt noch mal, wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich den Fraß nicht runterkriege?«
    »Ich kann nichts machen, die Mönche haben es so befohlen.« »Dann lass dir was einfallen! Schließlich muss ich das Essen selbst bezahlen!«
    »Letzte Woche habe ich ja versucht, eine Lammkeule aus der Klosterküche zu schmuggeln. Aber der Kustos hat den Braten gerochen und mich durchsucht. Beinahe hätte er dabei die Briefe gefunden. Habt Ihr das vergessen?« »Ist ja schon gut. Stell den Napf da hin.«
    Diogo setzte sich an den Tisch und nahm den Löffel. Die Zelle war fast so groß und bequem wie sein eigenes Kontor, mit Blick auf die Scheide, so dass er

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