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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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seinen Hunger zu stillen, überflog er die Zeilen seiner Frau. Auch ihre Stimme meinte er beim Lesen zu hören, auch ihr Gesicht zu sehen, doch beides bereitete ihm Verdruss. Brianda schrieb, was sie immer schrieb, lauter Vorwürfe und Klagen, aber kein einziges Wort über den Converso-Kommissar. Mit jedem Satz, den Diogo las, verschlechterte sich seine Laune. Brianda war vor ihrer Hochzeit das reizendste Frauchen gewesen, das man sich nur wünschen konnte, die ideale Mätresse, nicht nur wegen der zwei Äpfelchen in ihrem Ausschnitt, sondern auch wegen ihrer Wesensart. Doch die aufgezwungene Ehe hatte sie von Grund auf verwandelt. Kleinlich war sie geworden, misstrauisch und eifersüchtig, und ständig lebte sie in der Angst, jemand könnte sie übervorteilen.
    Diogo legte den Brief beiseite. Trug er nicht selbst Schuld daran, dass Brianda sich so sehr verändert hatte? Als Gracia ihm vorgeschlagen hatte, Tristan da Costa von Lyon nach Venedig zu schicken, statt ihn nach Antwerpen zu holen, wie es seit langem verabredet war, hatte er ihrem Wunsch nur allzu gern entsprochen. Er hatte ja kein Interesse daran gehabt, dass Briandas Verlobter ihm als Nebenbuhler in die Quere gekommen wäre. »Hast du vielleicht Neuigkeiten von Senhor Aragon?«, fragte er Pieter.
    Der Wärter schüttelte den Kopf. »Nein, angeblich ist er immer noch auf Reisen.«
    »Weißt du wenigstens, wo er gerade steckt?«
    »Entweder in Brüssel oder in einem Feldlager des Kaisers. Sein Diener konnte es nicht sagen.«
    Diogo schob den Napf zurück. Noch schlimmer als der Schweinefraß war, dass er tatenlos hier drinnen abwarten musste, wie sich draußen sein Schicksal entschied. »Kann ich jetzt gehen?«, fragte Pieter. »Ja«, sagte Diogo. »Oder nein - warte!«
    Erst jetzt hatte er das Postskriptum auf der Rückseite von Briandas Brief entdeckt. Als er die wenigen Worte las, würgte das Schweinefleisch so sehr in seiner Kehle, dass er den letzten Bissen wieder ausspuckte.
    Das Postskriptum betraf ihre Schwester. Gracia hatte sie, so schrieb Brianda, um Rat gefragt, ob sie den Antrag von Amatus Lusitanus annehmen sollte ...
     

19
     
    Von mächtigen Mauern und Türmen bewehrt, lag Braga, die Hauptstadt der gleichnamigen portugiesischen Provinz, auf einer Anhöhe zwischen dem Cavado und dem Flüsschen Deste. Fast senkrecht brannte die Sonne von einem dunkelblauen Sommerhimmel herab, doch anders als an sonstigen Tagen, da die Menschen mittags in ihren Häusern vor der Hitze Zuflucht suchten, bis die Schatten wieder länger wurden, dachte heute niemand daran, Siesta zu halten. Die ganze Stadt war auf den Beinen, um das Patronatsfest Johannes des Täufers zu feiern. Und während das Geläut sämtlicher Kirchen die Luft erfüllte, wand sich von der Kathedrale Sé Velha die Prozession durch die engen, flaggengeschmückten Gassen in Richtung der Praca dos Carvalhos, wo auf den Stufen eines Brunnens Samuel Usque Posten bezogen hatte, um als christlicher Kaufmann getarnt in der Menge der Gläubigen nach seinem Bruder Ausschau zu halten. Ein Hutmacher aus Braga, so hatten Flüchtlinge ihm in Antwerpen berichtet, habe in seiner Werkstatt einen Lehrling namens Miguel aufgenommen, von dem es hieß, er wäre jüdischen Bluts und stamme aus Coimbra - der Beschreibung nach gleiche er Benjamin aufs Haar. Würde Samuel seinen Bruder heute endlich wiedersehen? Wenn er wirklich in Braga lebte, müsste er irgendwann mit der Prozession an ihm vorbeikommen, spätestens, wenn auf die Kirchenmänner und Adligen die Handwerker folgten, geordnet nach den verschiedenen Zünften. »Pater noster, qui es in caelis: sanctificetur nomen tuum.« Während die Menge immer wieder das Vaterunser murmelte, ein aus tausend Kehlen quellender Gebetsbrei, schwebte eine blutbefleckte, leichenblasse Christusfigur vorüber, deren qualvoll gekrümmter Leib von einem prunkvollen, perlenbehangenen Gewand aus silbern glänzender Seide verhüllt war. Samuel musste sich beherrschen, um dem Götzen nicht ins Gesicht zu spucken. Im Namen dieses Gottes hatte man ihn gefoltert, ihn auf den Schrägen gebunden und an den Flaschenzug gehängt, damit er Dom Diogo verriete. Die Wunden seines Körpers, die ihm die Dominikaner zugefügt hatten, waren inzwischen zwar verheilt, die Wunden seiner Seele aber hörten nicht auf zu brennen. Zu sehr schämte er sich dafür, dass er unter der Folter zusammengebrochen war, und nach seiner Freilassung hatte er sich tagelang nicht getraut, Dona Gracia unter die Augen zu

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