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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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alle Schiffe beobachten konnte, die im Hafen ein- und ausliefen, auch die der Firma Mendes. Abgesehen davon, dass er den Raum nicht verlassen durfte und man ihn mit diesem Schweinefraß drangsalierte, fühlte er sich eher wie in einem Gasthof als in einem Gefängnis. Man hatte ihm sogar seinen Zobel gelassen. Wenn er nur nicht diese entsetzlichen Schreie hören müsste, die immer wieder aus der Folterkammer der Burg zu ihm herauf durchs Fenster drangen. Doch damit hatte er Gott sei Dank nichts zu tun - Diogo Mendes war viel zu reich und seine Firma viel zu bedeutend, als dass man es wagen würde, ihn unter die Folter zu nehmen.
    »Sonst hast du nichts mitgebracht?«, fragte er seinen Wärter. »Erst das Geld, dann die Ware«, erwiderte Pieter. Diogo warf ihm eine Münze zu.
    »Bitte sehr, Eure Post.« Wie ein Zauberkünstler hatte der Wärter plötzlich zwei Briefe in der Hand. »Der eine ist von Eurer Schwägerin, der andere von Eurer Frau.«
    Diogo schob die Wurst im Napf beiseite, und während er den Kohl in sich hineinschaufelte, begann er zu lesen. Wie immer zuerst den Brief seiner Schwägerin. Weil er keine Besuche bekommen durfte, war dies die einzige Möglichkeit zu erfahren, was in der Firma passierte.
    Gracia hatte schlechte Nachrichten. Der Magistrat hatte die Speicher versiegelt und alle Waren beschlagnahmt, bis ein Urteil in Diogos Sache gefällt wäre. Allmählich ging ihr das Geld aus, um die Zölle für die ankommenden Schiffe zu bezahlen, und schon bald würde sie darauf angewiesen sein, die Ladung eines Schiffes zu verkaufen, um den Zoll für ein zweites aufzubringen. Doch zum Glück hatte Gracia eine Idee, um die Katastrophe abzuwenden. Sie wollte an der Börse die Kaufmannschaft gegen das Vorgehen des Magistrats mobilisieren. Das Versiegeln der Speicher verstieß gegen verbrieftes Recht, und wenn sich das herumsprechen würde, geriete der Hafen von Antwerpen in Verruf, bei allen Schiffseignern in Europa. Bei der Vorstellung, wie der Hafenkommandant die Speicher wieder freigeben würde, musste Diogo grinsen. Was für ein Einfall! Nur schade, dass er nicht selbst darauf gekommen war. »Seid Ihr fertig?«, fragte der Wärter.
    Diogo war längst noch nicht satt, im Gegenteil, ihm knurrte der Magen, aber aus dem leeren Napf schauten ihm nur noch die Schweinswürste entgegen. Statt weiterzuessen, beugte er sich wieder über Gracias Brief. Beim Lesen glaubte er, ihre Stimme zu hören, und die ganze Zeit sah er ihr Gesicht vor sich, ihr spöttisches, überhebliches Lächeln, weil sie wieder für die Lösung seiner Probleme gesorgt hatte. Diogo schüttelte sich. Was hatte sie in seinen Gedanken zu suchen? Ihre Überheblichkeit ging ihm genauso auf die Nerven wie ihr Glaubenseifer, und ihre Drohung, mit ihrem Teil des Vermögens nach Konstantinopel aufzubrechen, war eine ebenso unverzeihliche Missachtung seiner Person gewesen wie ihre Gewohnheit, für jede Ankunft eines Flüchtlingsschiffes allein dem Himmel zu danken, ohne seinen Beitrag zu würdigen. Doch bei Gott - sie war die großartigste Frau, die er kannte! Sie hatte es sogar geschafft, während seiner Haft die Esmeralda nach Lissabon zu schicken, mit Samuel Usque an Bord, der angeblich Hoffnung hatte, endlich seinen Bruder aus den Händen der Christen zu befreien. Wieder drangen die Schreie eines Gefolterten in Diogos Zelle. »Mach das Fenster zu, Pieter!«
    Verflucht - warum gab es keine Nachricht von Aragon? Der aufgeblasene Pfau hatte fest versprochen, dass er nicht länger als zwei Wochen in Haft bleiben würde, doch inzwischen war schon über ein Monat vergangen, ohne dass sich etwas tat. Wenn der Mistkerl glaubte, er könnte ihm Angst einjagen, hatte er sich verrechnet. Diogo hatte schon einmal in dieser Zelle gesessen, vor ziemlich genau zehn Jahren. Damals hatte man ihn angeklagt, Handel mit dem Sultan von Konstantinopel zu treiben. Drei Monate hatte man ihn in Haft gehalten, und er war fast bankrott gewesen, als er endlich freigekommen war - für ein zinsloses Darlehen über fünfzigtausend Golddukaten, zur einen Hälfte für den Kaiser, zur anderen Hälfte für dessen Schwester, die Regentin. Wie teuer würde es diesmal werden? Wenn Aragon seine Finger im Spiel hatte, würde die Freilassung wahrscheinlich noch mehr kosten als vor zehn Jahren. Aber was bedeutete Geld? Hauptsache, er käme endlich wieder hier raus! Vielleicht stand ja etwas darüber in Briandas Brief? Während Diogo seinen Ekel überwand und die Würste hinunterwürgte, um

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