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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Süden, nicht im Norden. Außerdem haben wir Joses Geständnis.« Erst jetzt merkte sie, dass sie am ganzen Körper zitterte. »Ich ... ich danke Euch«, flüsterte sie.
    »Dankt nicht mir«, entgegnete Diogo, und das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. »Dankt Gott. Er hat Eure Tochter gerettet.«
    »Ihr ... Ihr dankt Gott?«, fragte sie und schaute ihm in die Augen.
    Er erwiderte ihren Blick, so eindringlich und ernst, dass ihr Mund ganz trocken wurde.
    »Ja«, nickte er, noch ernster als zuvor. »Gott ist mit uns gewesen.«
    Plötzlich erkannte sie in seinem regennassen Gesicht Franciscos Züge, die Züge seines Bruders, ihres Mannes. Zum ersten Mal sah sie die Ähnlichkeit und hörte seine Stimme. >Du hast ihn immer geliebt, schon als Kind ...< Auf dem Sterbebett hatte er diese Worte zu ihr gesagt. Sie waren sein Vermächtnis gewesen, sein letzter Wunsch. >Das Gesetz will es so. Und ich will es auch .. .< Ein Schauer lief Gracia über den Rücken. Sie nahm seine Hände und spürte seine Haut, den sanften, fragenden Druck seiner Finger, während ihre Blicke sich fanden. Wie sollte sie diese Blicke ertragen, ohne sie zu erwidern? Aus seinen Augen sprachen alle Gefühle, die sie selbst empfand.
    >Wenn sich aber Mann und Frau verbinden, dann werden sie ein Leib und eine Seele. Da wird der Mensch eins, vollkommen und ohne Makel, gleich Gott.<
    Ihr Herz war ganz ruhig. Ja, sie hatten sich miteinander verbunden. Sie hatten die Edomiter besiegt, den Kaiser und die Regentin, um Reyna zu retten ...
    >Und Gott ruht in ihrer Verbindung, weil Mann und Frau in ihr sind wie ER.<
    Plötzlich verspürte Gracia ein Hochgefühl, einen Jubel der Seele, der alle Ohnmacht, die sie empfunden hatte, in Allmacht zu verwandeln schien. Konnte es sein, dass Gott bereits entschieden hatte?
    Gracia sah Diogos lächelnden Mund, spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht, hörte die zärtlichen Worte, die sein Herz zu ihrem Herzen sprach. Und ehe sie die Antwort wusste, schloss sie die Augen und versank in seinem Kuss.
     

39
     
    Wie ein wütendes Tier strich der Wind um die Herberge, in der Reyna und José am Abend untergekommen waren, mit lautem Heulen und Jaulen bestürmte er das Dach und rüttelte an den Fenstern, um sich jammernd in der flandrischen Nacht zu verlieren, in einem Wald oder auf offenem Feld, als müsste er verschnaufen, bevor er mit doppelter Macht aus der Finsternis zurückkehrte.
    Während José das Feuer im Kamin schürte, hockte Reyna auf der ungehobelten Tischbank und blickte ängstlich in die Flammen. Ein Bett gab es nicht in der kahlen Kammer, nur einen Strohsack, den der Wirt in einer Ecke für sie aufgeschüttelt hatte. Doch sie würde ihn nicht brauchen. Reyna hatte beschlossen, die Nacht auf der Bank zu verbringen.
    »Weißt du«, fragte sie, »ich meine - wisst Ihr, wo wir überhaupt sind?«
    Mit dem Schürhaken in der Hand, blickte José über die Schulter. »Wenn der Sturm sich legt und es aufhört zu regnen, können wir es morgen bis Löwen schaffen.«
    »Sollen wir nicht doch über Aachen reiten? Vielleicht holen wir die anderen noch ein.«
    »Nein. Dort werden sie als Erstes nach uns suchen. Aber wir haben Glück«, sagte er, als er ihr enttäuschtes Gesicht sah. »Das Holz ist trocken und brennt wie Zunder. Gleich wird es warm.« Während das Feuer knisterte und knackte, hatte Reyna das Gefühl, als tanzten in dem flackernden Lichtschein die Bilder des vergangenen Tages, ein verwirrender, beängstigender Reigen ihrer Erinnerungen. Senhor Aragon und seine goldene Hose ... der rote Speer, ihre Hand, die ihn berührte ... Die Entführung aus dem Palast ... Und dann der Kampf am Stadttor von Brüssel ... Pferde, die sich wiehernd aufbäumten, blanke Säbel und Blut ... Immer wieder Blut ... Noch nie zuvor hatte Reyna einen Menschen sterben sehen, und jetzt waren drei Soldaten vor ihren Augen getötet worden, junge Männer, kaum älter als sie. Blutüberströmt waren sie in den Morast gesunken, während sie von José auf ein herrenloses Pferd gehoben wurde, mit dem sie davongaloppierten ...
    War das alles wirklich an diesem einen Tag geschehen? Vor nur wenigen Stunden? Fröstelnd zog Reyna ihren Umhang um die Schultern. Der Stoff war voller Lehmkrusten, genauso wie ihre Schuhe und Strümpfe.
    »Hier, nehmt meinen Mantel«, sagte José und löste den Verschluss an seinem Hals. »Der ist wärmer als Euer Umhang.« »Aber dann habt Ihr ja selbst keinen mehr.« »Ich brauche ihn nicht. Mir ist schon ganz warm. »Aber

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