Die Gottessucherin
Pässe?«
Diogo reichte sie dem Feldwebel durch die Klappe. Ein Schreiber der Firma Mendes hatte sich große Mühe mit den Papieren gegeben, doch als der Wachsoldat die Münzen sah, die Diogo zu den Pässen legte, um seinem Begehren Nachdruck zu verleihen, würdigte er die Ausweise keines Blickes. Plötzlich wie verwandelt,
war er die reine Zuvorkommenheit. Unbesehen gab er die Pässe zurück.
»In Ordnung! Ihr könnt passieren!«
Diogo wischte sich die nassen Haare aus der Stirn. Er hatte nicht zu hoffen gewagt, dass es so einfach gehen würde. Während er die Papiere unter den Wachsmantel stopfte, den er gegen den Regen über seinem Zobel trug, kamen zwei Soldaten aus dem Schilderhäuschen. Fluchend stapften sie durch den Morast, in dem ihre Stiefel bis zu den Schäften versanken, um das Tor zu öffnen.
Diogo trieb seinen Hengst beiseite, um José vorbeizulassen. Die Kutsche ruckte an, doch sie war noch keine Wagenlänge weit gekommen, da flog die Tür des Schilderhäuschens auf, und der Feldwebel stürzte ins Freie.
»Halt!«, rief er und riss so heftig an den Leinen der Stangenpferde, dass die zwei Braunen parierten und die Kutsche wieder zum Stehen kam.
Diogo griff nach seinem Messer. »Was soll das? Wir haben es eilig!«
Auch José hatte seine Hand an der Waffe, bereit, jeden Moment vom Kutschbock zu springen. Die Augen weit vor Angst, starrte Reyna aus dem Wagen. Die Soldaten verharrten unschlüssig und warteten auf einen Befehl. Das Tor stand erst einen Spalt weit auf, durch die schmale Öffnung passte kaum ein Pferd, geschweige denn ein Wagen. Dahinter, wie in unendlich weiter Ferne, war das offene Feld zu sehen, das grau in grau am Horizont mit dem Regenhimmel verschmolz.
»Und was ist damit?«, fragte der Feldwebel. Er bückte sich zu Boden, um mit spitzen Fingern ein Batisttüchlein aus dem Morast zu fischen. »Das hat die Dame verloren.« Mit einer unbeholfenen Verbeugung reichte er Reyna das Tuch in den Wagen. »Tausend Dank!«, rief Diogo. »Aber jetzt müssen wir weiter.« Erleichtert ließ er sein Messer stecken und warf dem Mann eine zusätzliche Münze zu.
Der schien nur darauf gewartet zu haben. Übereifrig schrie er einen Befehl. Die Soldaten öffneten das Tor, die Kutsche setzte sich in Bewegung, und während der Feldwebel im Regen salutierte, nahm Diogo die Zügel auf und gab seinem Hengst die Sporen. Da krachte ein Schuss. Wiehernd bäumte Diogos Pferd sich auf. »Schließt das Tor!«, schrie jemand. »Das Tor zu! Sofort!« Noch während sein Rappe stieg, blickte Diogo über die Schulter zurück. Ein Offizier, gefolgt von einem Dutzend Gardisten, galoppierte mit gezogenem Säbel von der Stadt her auf sie zu. Obwohl er noch einen Steinwurf entfernt war, erkannte Diogo sofort das Gesicht.
Im selben Moment verfluchte er seinen Leichtsinn. Warum zum Teufel hatte er den Kerl nur am Leben gelassen?
38
Würde Gott mit ihnen sein?
Gracia trat vor den Thoraschrein, um für ihre Tochter zu beten, mit gesenktem Blick und erhobenem Herzen, wie das Gesetz es verlangte.
»Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir, höre meine Stimme! Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens!« Gracia hasste dieses ohnmächtige Warten, und sie musste sich Gewalt antun, um ihrer Ungeduld Herr zu werden und sich zum Gebet zu sammeln. Haschern wollte, dass man in Demut und Scheu zu ihm sprach, und auf Erfüllung durfte nur hoffen, wer sein Gebet in jenem stillen Gottvertrauen verrichtete, aus dem die Beruhigung des Gemüts hervorging.
»Vom Ende der Erde rufe ich zu dir, denn mein Herz ist in Angst. Lass deine Freunde errettet werden, dazu hilf mit deiner Rechten und erhöre uns!«
Ja, sie vertraute auf Gott, aber ihr Gemüt war von Ruhe weit entfernt. In solchem Aufruhr war ihre Seele, dass sie sich in den Psalmen verirrte, aus Furcht um ihre Tochter. Reyna war eine Schwankende, eine grüne Taube, und wenn es nicht gelänge, sie aus den Händen der Edomiter zu befreien, wäre es für immer um sie geschehen.
»Herr, es sind Heiden in dein Erbe eingefallen, sie haben deinen heiligen Tempel entweiht und aus Jerusalem einen Steinhaufen gemacht. Ergreife Schild und Waffen und mache dich auf, uns zu helfen! Zücke Speer und Streitaxt wider die Verfolger! Gieß deine Ungnade über sie aus, und dein grimmiger Zorn ergreife sie!« Aber ach, durfte sie überhaupt so beten? Gott schaute doch in ihr Herz und wusste: Ebenso groß wie ihre Angst um Reyna war ihre Angst um einen anderen Menschen, war ihre
Weitere Kostenlose Bücher