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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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seichten, dreißig Meilen langen und zehn Meilen breiten Arm des Adriatischen Meeres. Doch die Häuser, Kirchen und Paläste waren nicht wie andernorts auf sicheren Fundamenten erbaut, sondern auf luftigen Pfahlrosten, zweifelhafter Halt all der betörenden Schönheit und Pracht, die sich in so verschwenderischer Maßlosigkeit über die Wasseroberfläche erhob, von scheinbar harmlosem Wellengeplätscher umspült, in Wahrheit aber von den Meeresfluten fortwährend ausgehöhlt und zernagt. Statt befestigter Straßen und Gassen verbanden einhundertfünfundsiebzig Kanäle, wimmelnd von Gondeln, Booten und Kähnen, die vierhundert mit Zisternen versehenen Plätze, von denen freilich nur der größte und prächtigste, der Markusplatz, den Namen »Piazza« führte. Im Zeichen des Löwen erhob sich hier die Basilika, die Hauptkirche der Stadt, mit ihren fremdartigen Kuppeln und Mosaiken auf goldenem Grund - byzantinisch versponnenes Sinnbild einer jahrhundertealten Verbindung zum Morgenland. Am Canal Grande gelegen, jener breiten Wasserstraße, welche sich an den Quartieren der über hunderttausend hier lebenden Menschen in majestätisch schwingenden Bögen entlangzog, war der Markusplatz mit seinen Arkaden und dem Dogenpalast nicht nur das eindrucksvolle Machtzentrum Venedigs, sondern auch fraglos der Mittelpunkt aller öffentlichen Lustbarkeiten, sowohl im Sommer, wenn La Serenissima stolz im Sonnenglanz erstrahlte wie eine mit Juwelen geschmückte Kurtisane, als auch im Winter, wenn der Nebel, der von den Wassern unter den dreihundert Brücken aufdampfend hervorquoll, sie mit seinen weißlichen Schleiern vor zudringlichen Blicken verhüllte wie ein eifersüchtiger Liebhaber seine geheimnisvolle Schöne.
    Die eigentümliche Vermählung von Land und Meer, die in Venedig auf so wundersame Weise Gestalt angenommen hatte, wurde alljährlich am Himmelfahrtssonntag mit einem rauschhaften Fest gefeiert, der »Sensa«. Dann fuhr der Doge, der aus der Mitte des Volkes gewählte Herrscher der Republik, in einem Prunkschiff hinaus zum Lido, an der Spitze einer unüberschaubaren Flotte fahnengeschmückter Boote und Gondeln, um vor der Kirche San Nicolo einen geweihten Ring in die Fluten zu werfen, Symbol der Macht und Überlegenheit der Stadt über das Meer. Denn als Seemacht war Venedig zu Ruhm und Bedeutung gelangt, ein Kolonialreich, das in seiner Blüte von Oberitalien bis Kreta, zur Krim und nach Zypern reichte. Dabei verstand es die Serenissima, in Ermangelung eigener Größe und Stärke, ebenso geschickt wie erfolgreich zwischen den verfeindeten Großmächten Byzanz, dem Heiligen Römischen Reich und dem Vatikanstaat des Papstes zu lavieren. Deren Rivalität und das Vordringen der Osmanen spielten den Venezianern nahezu mühelos in die Hand, was größte Anstrengungen kaum je vermocht hätten: Begünstigt durch die äußere Lage gelang es den Dogen, in kluger Nutzung der jeweiligen Konjunktur, fast den gesamten Handel zwischen Abendland und Morgenland zu beherrschen. Turbantragende Orientalen waren darum in Venedig ebenso zu Hause wie brokatgewandete Franzosen, schwarzgekleidete Spanier oder blassgesichtige Engländer. Doch dem vom Himmel geschenkten Glück folgte alsbald der menschenbewirkte Verfall. Zuerst nahmen die Türken nach der Eroberung Konstantinopels der Serenissima die Inseln des griechischen Meeres; dann brachten die Portugiesen durch die Entdeckung des Seewegs nach Indien die Venezianer um den Handel mit den dort gewonnenen Schätzen; und während die Entdeckung der Neuen Welt unermessliche Reichtümer versprach, verlor Venedig seine Vormachtstellung als größter Stapelplatz Europas mehr und mehr an das aufstrebende Antwerpen in den Spanischen Niederlanden. Obwohl die Serenissima unter dem Prunk ihrer äußeren Erscheinung das mähliche Schwinden der Macht so wenig wahrnahm wie den Verfall mancher ihrer Bauwerke unter der glitzernden Oberfläche des Meeres, waren die zwangsgetauften Marranen, die auf der Flucht vor der Inquisition in immer größeren Scharen Richtung Osten zogen, in der Lagunenstadt höchst willkommen. In dem Bestreben, vor der Welt in immer wieder neuem Glanz zu erstrahlen, die Pracht der Kirchen und Palazzi nicht nur zu erhalten, sondern ständig zu mehren, wurden gewaltige Summen verbraucht - Gelder, die man sich von den handelserprobten und geschäftstüchtigen Juden mit einigem Recht erhoffte. Andererseits bedeutete die zunehmende Durchdringung des republikanischen Gemeinwesens mit so

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