Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
Ihr nicht sagt!«, erwiderte Brianda. »Ihr habt wohl vergessen, dass ich Eure Wohnung gesehen habe!« »Dann hättet Ihr ja gewarnt sein müssen.« Der Anflug eines Lächelns erhellte sein Gesicht. »Ich verstehe leider nur etwas von Zahlen.«
    »Und vom Beten - nehme ich an!«
    Sein Lächeln verschwand so rasch, wie es gekommen war. »Ich denke«, sagte er, »ich sollte allmählich ins Kontor. Eure Schwester wartet sicher schon auf mich.«
    »Dann hoffe ich nur, dass sie Euch nicht den Kopf abreißt. Weiß sie überhaupt, dass Ihr Euch mit mir herumtreibt?« Statt zu antworten, kehrte er ihr den Rücken zu und bog in eine Gasse ein, die Richtung Hafen führte. Gleichzeitig wütend und enttäuscht blickte Brianda ihm nach, wie er zwischen den Häusern verschwand. War das derselbe Mann, mit dem sie einmal verlobt gewesen war? Sie hatte es geglaubt, für einen winzigen Augenblick, als sie ihn zum ersten Mal wiedergesehen hatte, nach seiner Rückkehr aus Lyon. Doch offenbar hatte sie sich geirrt - ihr einstiger Verlobter war einer von diesen verbohrten Ghettojuden geworden, vor denen es ihr gruselte, wenn sie ihrer nur ansichtig wurde. Ein Wunder, dass er sie überhaupt berührt hatte! Mit beiden Händen fasste sie sich an den Ausschnitt ihres Kleides und zog den Stoff auseinander, damit ihr Busen noch üppiger zur Geltung kam, und ging ihm nach. Wenn sie gewusst hätte,
wie
verbohrt er war - sie hätte sich die Lippen mit Karmesin rot geschminkt und die Augen mit Kohle geschwärzt! »Zieht den Kopf ein, sonst verliert Ihr noch Euren Hut!«, sagte sie, als sie wieder neben ihm war.
    Sie mussten sich bücken, um einen Sotoportego zu passieren, einen überbauten Gang, der unter einem baufälligen Palazzo hindurch zu einer winzig kleinen Piazzetta mit einem noch winzigeren Brunnen sowie einer Anlegestelle führte, wo Gemüsehändler ihre Kähne festgemacht hatten und mit breiten Beinen auf den schwankenden Bohlen balancierend ihre Waren anpriesen.
    Als Brianda aus dem dunklen Gang ins Freie trat, verschlug es ihr fast den Atem.
    Ein sanfter Wind strich über die Lagune, und der Nebel hatte sich gelichtet. Als hätte ein Riese den himmlischen Vorhang zerrissen, flutete das Sonnenlicht auf den Canal Grande herab, der in weitem, majestätischem Schwung das Häusermeer der Stadt in zwei Hälften teilte, und brach sich millionenfach glitzernd in den sich kräuselnden Wellen, auf denen die Boote, Gondeln und Kähne kunterbunt durcheinandertrieben, links und rechts gesäumt von den Prachtfassaden der Kirchen und Paläste. »Jetzt begreife ich endlich, was Ihr meint.« Verwundert drehte Brianda sich um. Tristan sah ihr ins Gesicht, so andächtig und feierlich, als würde er beten. »Aber Ihr schaut ja gar nicht hin«, sagte sie. »Wie wollt Ihr da begreifen, was ich meine?«
    »Ich sehe es in Euren Augen«, sagte er. »Wenn etwas Eure Augen so zum Strahlen bringen kann, dann ...«
    Er verstummte, ganz rot im Gesicht. Doch statt zu versuchen, seine Verlegenheit zu verbergen, blieb er einfach vor ihr stehen. In diesem Augenblick wusste Brianda: Er war immer noch derselbe Mann, mit dem sie auf Gracias Hochzeit getanzt hatte - der Mann, den sie immer noch liebte. »Ich bin Euch noch eine Antwort schuldig«, sagte er. »Was habe ich Euch denn gefragt?«
    »Ob Dona Gracia weiß, dass wir den Tag zusammen verbringen.« Wieder erschien dieses Lächeln auf seinem Gesicht, das umso hübscher wurde, je größer seine Verlegenheit war. »Ich weiß selbst nicht, warum«, flüsterte er. »Aber nein - ich habe ihr nichts davon gesagt.«
     

10
     
    Der Handel mit dem Morgenland war ein glänzendes Geschäft. Nicht mehr als zwei Wochen brauchte ein Viermaster bei tüchtigem Wind, um von Venedig nach Konstantinopel oder zurück zu segeln. Mit Hilfe ihres Neffen José Nasi sowie des Agenten Tristan da Costa, der seit Jahren mit dem Orienthandel vertraut war, gelang es Gracia darum in kurzer Zeit, die Verluste der Firma Mendes durch den Wegfall der Geschäfte in Antwerpen weitgehend auszugleichen und zugleich Hunderten von Juden, die auf ihrer Flucht vor der Inquisition quer durch Europa in der Lagunenstadt strandeten, die Auswanderung ins Osmanische Reich zu ermöglichen. Monat für Monat liefen Schiffe des Handelshauses von Venedig in Richtung Konstantinopel aus, beladen mit Glaswaren und Zinn, Papierballen und Käselaiben, um wenige Wochen später mit den herrlichsten Schätzen des Morgenlands zurückzukehren, mit Seidenstoffen und Teppichen,

Weitere Kostenlose Bücher