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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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anzuschauen, marschierte sie geradewegs auf Gracia zu, die sich zögernd von ihrem Stuhl erhob.
    »Ich muss mit dir reden«, erklärte Brianda. »Allein!« Als Gracia das Gesicht ihrer Schwester sah, wurde sie blass. Sie hatte keinen Zweifel daran, warum Brianda mitten in der Nacht in ihrem Haus erschien.
    »Geht bitte raus«, sagte sie zu Reyna und José. »Aber warum denn?«
»Raus
hab ich gesagt!«
    Die zwei schauten sich stirnrunzelnd an, dann verließen sie den Raum. Brianda wartete, bis sich die Tür hinter ihnen schloss und sie mit ihrer Schwester allein war.
    »Ich habe nur eine Frage«, sagte sie dann, mit leiser, gefährlicher Stimme. »Warst du die Geliebte meines Mannes?« »Bist du verrückt geworden?« Gracia wich unwillkürlich einen Schritt zurück. »Du weißt doch - ich meine, du hast doch selbst gesagt, dass Diogo und ich unmöglich ... dass ich keinen anderen Mann jemals ...«
    »Es ist ganz egal, was ich gesagt habe! Ich habe
dich
gefragt, Gracia! Sag mir die Wahrheit! Ich will es endlich wissen!« Brianda trat so dicht an sie heran, dass sich ihre Gesichter beinahe berührten. Gracia spürte den Atem ihrer Schwester auf ihrer Haut. Wie konnte Brianda es wagen? Gracia wollte schon explodieren, doch plötzlich fühlte sie sich so elend, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte, und ihr Jähzorn zerstob wie ein Häufchen Asche. Voller Scham schlug sie die Augen nieder. »Du hast Diogo doch nie geliebt«, flüsterte sie. »Ist das alles, was dir dazu einfällt? Soll das etwa eine Entschuldigung sein?«
    Gracia hatte sich noch nie so schmutzig gefühlt, und obwohl sie fast umkam vor Scham, hob sie den Blick, um ihrer Schwester in die Augen zu sehen.
    »Bitte ... bitte, verzeih mir«, stammelte sie, »ich ... ich meine, Diogo und ich, wir ...«
    »Diogo und du?«, schrie Brianda auf. »Das wagst du, mir zu sagen? DIOGO UND DU?«
    Sie holte aus und schlug Gracia ins Gesicht. »Du gemeine, hinterhältige Hure!«
     

16
     
    Als Brianda durch das Tor des Ponte di Ghetto Vecchio trat, waren auf der anderen Seite der Mauer sämtliche Läden und Buden geschlossen. Kein Geschäft wurde am Sabbat in diesem Teil der Stadt getätigt, kein Bewohner dieses Viertels durfte heute etwas kaufen oder verkaufen oder sonst einer profanen Beschäftigung nachgehen. Dennoch war der Campo übersät von schwarzgewandeten Juden. Sieben Synagogen gab es rund um den Platz, eine für jede Gemeinde, je nachdem, ob ihre Mitglieder iberischer, deutscher oder orientalischer Herkunft waren. Mit ihren Gebetbüchern unter dem Arm eilten sie zu den Gotteshäusern, um ihre Andachtsübungen zu verrichten.
    Für Brianda wurde der Weg zum Spießrutenlauf. Als sie gegen den Strom der Gläubigen den Campo überquerte, verfolgten sie tausend misstrauische Blicke. Was hatte eine Frau in so prächtigen Kleidern und ohne Kopfbedeckung hier zu suchen? War das eine Christin?
    Sie traf Tristan da Costa auf dem Treppenabsatz vor seiner Wohnung. Auch er hatte ein Gebetbuch in der Hand und wollte gerade zum Gottesdienst. Doch als er Brianda sah, öffnete er die Tür, ohne auch nur einen Moment zu zögern, und bat sie herein. »Meine Schwester hat mir meinen Mann weggenommen«, sagte Brianda, nachdem sie einen Schluck Wasser getrunken hatte. »Zum Dank dafür, dass ich ihn an ihrer Stelle geheiratet habe!« »Das kann unmöglich sein!«, erwiderte Tristan entsetzt. »Ihr wisst doch, dass sie ...«
    »Ich habe sie zur Rede gestellt. Cornelius Scheppering war bei mir und ...«
    »Der Dominikaner? Was hat der damit zu tun?« »Er hat mir die Augen geöffnet. Durch ihn habe ich endlich begriffen, was für ein Mensch meine Schwester ist.« Brianda wandte sich zum Fenster, damit Tristan ihre Tränen nicht sah. »Ich will nie mehr etwas mit ihr zu tun haben.«
    Der Campo war inzwischen menschenleer, alle Gläubigen waren in den Gotteshäusern verschwunden. Während Brianda auf den ausgestorbenen Marktplatz starrte, verwoben sich die Gebete aus den Synagogen zu einem Klangteppich, der nur manchmal übertönt wurde von der lauten Stimme eines Chasans. Der immer gleiche, ewig wiederkehrende Singsang füllte ihre Ohren so sehr, dass sie es kaum aushielt. Es war, als würde der Chor der Gläubigen nur singen, um ihr Gefühl der Einsamkeit zu vermehren.
    »Wie soll ich je ohne sie auskommen?«, flüsterte Brianda. »Macht Euch keine Sorge«, sagte Tristan. »Selbst wenn Ihr den Prozess verliert und nur Anspruch auf die Mitgift habt, müsst Ihr nicht am

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