Die Gottessucherin
von ihr zu lassen. »Ich liebe dich. Und ich werde alles für dich tun, was ich kann. Hörst du - alles! Und wenn es mich meine Seele kostet ...«
Noch während er sprach, beugte er sich über sie, mit einem Ausdruck im Gesicht, der keinen Zweifel mehr zuließ, und trocknete ihre Tränen mit seinen Lippen. Und als seine Lippen schließlich die ihren berührten, öffnete Brianda einen Spalt weit den Mund, um seinen Kuss zu empfangen, der sie aus ihrer Einsamkeit erlöste.
17
Wieder tauchte Gracia ihre Hände in die Schüssel mit frischem Wasser, um das klebrige Gefühl loszuwerden, das sie plagte, sobald sie nicht durch irgendetwas abgelenkt war. Zum ersten Mal hatte Brianda sich gegen sie aufgelehnt, und noch immer glaubte Gracia, die Hand, mit der ihre Schwester sie geschlagen hatte, auf der Wange zu spüren. Doch viel schlimmer noch als das Brennen im Gesicht war das Gefühl der Unsauberkeit, das ihr zu schaffen machte. Mehrmals am Tag flüchtete sie sich ins Bad, bearbeitete ihre Finger mit Lappen und Bürsten, sogar mit Bimsstein hatte sie sich traktiert, so dass die Haut schon wund davon war. Doch es nützte nichts, das Gefühl der Unreinheit blieb. Die Hände, mit denen sie Diogo Mendes, den Mann ihrer Schwester, berührt und liebkost hatte, waren und blieben besudelt.
Warum war sie nicht vor Brianda auf die Knie gegangen? Während sie sich die Hände abtrocknete, vermied sie es, in den Spiegel zu sehen, der über der Waschschüssel hing. Sie hasste sich für das, was sie getan hatte, und alles, was sie besaß, würde sie hergeben, wenn sie das Geschehene damit ungeschehen machen könnte. Trotzdem hatte sie es nicht über sich gebracht, ihre Schwester um Verzeihung zu bitten. Statt einer Entschuldigung hatte sie nur sinnlose Worte gestammelt. Weshalb? Weil sie Unrecht nicht zugeben konnte? Oder weil sie wusste, dass sie nicht anders hätte handeln können, als sie gehandelt hatte ... Warum hatte Gott sie dazu verdammt, so zu sein, wie sie war? Mit jedem Wimpernschlag, mit jedem Atemzug sehnte sie sich nach ihrer Schwester. Kein Mensch war ihr näher als Brianda, kein Mensch war ihr vertrauter als sie, nicht einmal Reyna, ihre Tochter. Sie waren zusammen aufgewachsen, sie kannten einander besser, als jede von ihnen sich selbst kannte. Zusammen hatten sie die Heimat verlassen, um die halbe Welt waren sie miteinander geflohen, um den Edomitern zu entkommen. Doch jetzt waren sie verfeindet wie das erste Brüderpaar. Durch ihre, Gracias, Schuld.
Warum hatte Gott ihr dieses überschwere Erbe auferlegt? Um sie zu prüfen? In ihrem Glauben und in ihrer Gottesfurcht? Sie hängte das Handtuch an den Haken und bedeckte ihr Haar. Am liebsten wäre sie in die Mikwa gegangen, um sich im Tauchbad zu reinigen - nicht nur ihren Leib, sondern auch ihre Seele. Aber was hatte sie dort zu suchen, als unverheiratete Frau? Wieder fühlte sie Briandas Hand auf ihrer Wange. Ja, sie hatte die Züchtigung verdient, und wenn sie nicht vor ihrer Schwester niedersinken würde, um sie um Verzeihung zu bitten, konnte ihr das Reinigungsbad in der Mikwa so wenig helfen wie das Bittgebet zu Jörn Kippur: »Sünden des Menschen gegen Gott sühnt der Versöhnungstag, Sünden gegen den Mitmenschen nur dann, wenn er diesen zuvor versöhnt hat.«
Die Glocken von San Polo schlugen zur vollen Stunde. War das schon das Ave-Läuten? Gracia schaute aus dem Fenster. Dunkelrot sank die Sonne über die Dächer der Stadt herab, bald würde sie ins Meer eintauchen.
Gracia fasste einen Entschluss. Es gab nur eine Möglichkeit, um wieder mit sich ins Reine zu kommen. Sie musste ihre Schwester aufsuchen. Ohne länger nachzudenken, nahm sie ihr Cape und verließ den Raum.
Als sie die Galerie betrat, hörte sie, wie unten jemand klopfte. Irritiert blieb sie stehen. Am heiligen Sabbat? Wer konnte das sein? Die Dominikaner? Nein, die pochten ans Tor wie Soldaten, laut und gebieterisch. Dieses Klopfen aber war ganz leise, unsicher, zögernd.
Hatte Brianda etwa denselben Gedanken gehabt wie sie? Während ein Diener das Tor öffnete, beugte Gracia sich über die Brüstung. Doch statt ihrer Schwester betrat ein jüdischer Greis mit weißem Bart und weißen Schläfenlocken die Halle. »Wer seid Ihr?«, fragte sie.
»Mein Name ist Joshua Montales«, erwiderte der Fremde auf Spanisch. »Ich bin der Gemeindeälteste aus Toledo.« »Kommt bitte morgen wieder«, sagte Gracia. »Ich hab jetzt keine Zeit.« Sie drehte sich um. »Ein Boot!«, rief sie dem Diener
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