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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Hungertuch nagen. Ihr werdet immer noch mehr als genug Geld zum Leben haben.«
    »Das meine ich nicht«, erwiderte Brianda. »Ich meine, Gracia -sie ... sie war doch immer da, solange ich zurückdenken kann.
    Auch wenn wir uns oft gestritten haben, hat sie alles für uns entschieden und erledigt. Seit unsere Mutter starb und auch später, nachdem wir aus Portugal geflohen sind. Aber jetzt - jetzt bin ich allein.«
    »Nein«, widersprach Tristan, »das seid Ihr nicht. Ich habe Euch ein Versprechen gegeben. Dass ich immer für Euch da bin, wenn Ihr mich braucht. Habt Ihr das vergessen?« »Ach, das sind doch nur Worte.«
    Brianda drehte sich um. Seit sie Tristan zum ersten Mal in Venedig wiedergesehen hatte, wusste sie, dass sie mit diesem Mann zusammen sein wollte, bis ans Ende ihres Lebens, und jedes Mal, wenn sie ihn sah, hoffte sie, dass er sich ihr erklärte. Aber seine Lippen waren wie zugenäht. Nie hatte er offen zu erkennen gegeben, ob er ihre Gefühle teilte - geschweige denn, dass er um ihre Hand anhalten wollte. Warum? Hatte er Angst, dass sie ihn zurückweisen würde? Weil sie die Witwe seines ehemaligen Herrn war und er nur ein Handelsagent? Oder gab es noch etwas anderes als den Standesunterschied, das zwischen ihnen war? »Meine Schwester und ich haben bis jetzt nur um Geld gestritten«, sagte Brianda. »Aber jetzt ... jetzt muss ich den Prozess gewinnen - egal, was es kostet. Ich kann nicht zulassen, dass Gracia länger bestimmt, was ich tue. Und erst recht nicht, dass sie der Vormund meiner Tochter ist!« »Ich bin auf Eurer Seite«, erklärte Tristan. »Wie stellt Ihr Euch das vor?«, erwiderte Brianda. »Ihr seid immer noch ein Agent der Firma. Gracia ist Eure Herrin!« »Ich bin mein eigener Herr! Wenn Ihr es wünscht, scheide ich noch heute aus ihren Diensten aus.« »Das würdet Ihr für mich tun?«, fragte sie. Tristan nickte.
    »Aber - wovon wollt Ihr leben? Ich kann Euch keinen Lohn zahlen, ich lebe selbst nur von den Krediten, die die Geldverleiher mir geben. Und wer weiß, wenn ich den Prozess verliere ...« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
    Er antwortete ihr mit einem Lächeln. »Wie Ihr wisst«, sagte er und zeigte auf seine armselige Wohnung, »habe ich keine großen Ansprüche. Meine Ersparnisse reichen für Jahre. Außerdem würde ich sowieso kein Geld von Euch nehmen.« »Warum nicht?«
    Er schlug die Augen nieder. »Ich ... ich hatte gehofft, Ihr würdet den Grund wissen.«
    »Aber Ihr nehmt doch auch Geld von meiner Schwester.« »Glaubt Ihr, das wäre dasselbe?«
    Obwohl er ganz rot war im Gesicht, hob er den Kopf und sah sie an. Brianda erwiderte seinen Blick. Konnte es wirklich sein, dass er dasselbe empfand wie sie? Für einen Augenblick war sie fast sicher, doch dann kamen ihr Zweifel. Schläfenlocken ringelten sich unter Tristans Hut, den er sogar im geschlossenen Raum aufbehielt wie ein Soldat seine Mütze, und in der Hand hielt er das Gebetbuch. Brianda nickte. Auch wenn er ebenso verlegen schien wie sie selbst, auch wenn sein Adamsapfel ruckte und sein Augenlid nervös zu zucken begann - ja, es gab etwas, das sie von Grund auf unterschied, etwas, das stärker war als jeder Standesunterschied, stärker auch als alle Liebe.
    »Ihr seid Jude«, sagte sie. »Ihr hängt an Eurem Glauben, genauso wie meine Schwester. Und zusammen helft Ihr anderen Juden, der Verfolgung zu entkommen.«
    »Ja«, bestätigte Tristan, »ich bin Jude, und ich bewundere Dona Gracia für das, was sie tut. Sie hat Tausenden von Glaubensbrüdern das Leben gerettet, und ich danke dem Herrn dafür, dass er mir die Möglichkeit gab, zusammen mit ihr ...« »Seht Ihr?«, fiel Brianda ihm ins Wort. »Wie kann ich da von Euch erwarten, dass Ihr ...«
    »Ihr habt mich nicht aussprechen lassen«, unterbrach er sie. »Wozu auch?«, fragte sie. »Ich weiß doch, was Ihr sagen wollt. Euer Glaube ist Euch wichtiger als alles andere, und darum ...« »Seid Ihr da wirklich so sicher?«
    Tristan legte sein Gebetbuch aus der Hand und trat auf sie zu.
    Eine lange Weile blickten sie sich an. Dann, ohne ein Wort, nahm er ihren Kopf zwischen seine Hände, so plötzlich und unverhofft, dass ihr Herz zu klopfen begann, als wollte es ihr aus der Brust springen.
    »Was ... was wolltet Ihr noch sagen?«, flüsterte sie, weil sie seinen Blick und seine Berührung nicht länger schweigend ertrug. »Dass ich gar keine Wahl habe, mich zu entscheiden«, erwiderte er, genauso leise wie sie. »Ja, Brianda«, sagte er, ohne seine Augen

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