Die Gottessucherin
die Höhe. »Eine Stellungnahme Eurer Schwester.« . »Brianda hat Euch geschrieben?«, fragte Gracia.
»Wundert Euch das?«, erwiderte Ercole. »Wir haben sie natürlich in Kenntnis des hiesigen Verfahrens gesetzt. Durch ihren Agenten Tristan da Costa fordert Dona Brianda uns nun ihrerseits auf, die von uns geleistete Anerkennung des Testaments ihres verstorbenen Gatten zu Euren Gunsten zurückzunehmen und stattdessen das Urteil anzuerkennen, das der Zehnerrat in Venedig gesprochen hat und das sie zum Vormund über ihre Tochter und somit zur Sachwalterin von deren Vermögen erklärt.«
»Wie kann meine Schwester es wagen, Eure Autorität in Frage zu stellen?«, rief Gracia. »Welches Argument hat sie auf ihrer Seite?«
»Das einfachste und zwingendste, das die Rechtsprechung kennt«, erklärte der Herzog. »Geld.«
Die Dreistigkeit der Antwort verschlug Gracia fast die Sprache. »Wie viel hat Brianda Euch geboten?«, fragte sie. »Vierzigtausend Golddukaten«, erwiderte Ercole mit einem Lächeln. »Für die Fertigstellung unseres Glockenturms. Wie Ihr wisst, ist dies der größte Wunsch meiner Frau.« »Vierzigtausend?«, rief Gracia. »Damit könnt Ihr eine ganze Kathedrale bauen!«
Ercole zuckte die Achseln. »Eine angemessene Summe in Anbetracht des Gesamtvermögens der Firma Mendes, das sich, wie ich aus Venedig höre, wohl auf zweimal dreihunderttausend Dukaten beläuft. Doch wir sind jederzeit bereit«, fügte er hinzu, »Euch Gehör zu schenken, falls Ihr uns bessere Argumente vorzutragen wünscht als Eure Schwester. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass die Zeit drängt. Der Dombaumeister muss seine Leute bezahlen.«
Gracia hob die Augen zur Decke, wo die Göttin Aurora die Pferde des Sonnenwagens einem neuen Tag entgegenführte. Hatte Brianda gesiegt? War ihr Lebenswerk gescheitert? Sollten Tausende von Juden ohne Hilfe bleiben, nur damit ihre Schwester sich ein schönes Leben in Venedig machte? Fieberhaft überschlug Gracia im Geiste, welche Summe sie kurzfristig flüssigmachen könnte. Nachdem sie Ercole bereits so viel Geld geschenkt hatte, verfügte sie gerade noch über elftausend Dukaten an Barmitteln. Hinzu kamen rund fünfzehntausend, die sie in Edelsteinen besaß. Alle anderen Teile ihres Vermögens, die nicht in Venedig gebunden waren, hatte sie in Handelswaren investiert, verstreut an allen möglichen Orten der Welt.
Was nur konnte sie tun, um den Herzog umzustimmen? Sie war noch zu keinem Ergebnis gelangt, da ging die Tür auf, und Herzogin Renata, eine unscheinbare Frühgreisin mit seltsam toten Augen, betrat den Saal. Ihr folgte Samuel Usque, der zwei ledergebundene Folianten auf dem Arm trug. »Ich konnte mich nicht länger beherrschen«, erklärte die Herzogin und wies Samuel an, die Bücher abzulegen. »Die ganze Heilige Schrift auf Spanisch! Seit dem Tag meiner Hochzeit bin ich nicht mehr so glücklich gewesen! Ach, wenn das unser Freund Calvin sehen könnte!« Ihre toten Augen leuchteten plötzlich wie die eines jungen Mädchens, als sie den ersten der beiden Bände vor ihrem Mann aufschlug. »Hier ist die Ausgabe für die christliche Leserschaft! Mit einer Widmung für Euch!« Gracia kannte die Gerüchte, wonach die Herzogin mehr Macht über ihren Mann besaß als alle seine Minister. Trotzdem konnte sie kaum glauben, was nun geschah.
Renatas Gegenwart schien Ercole in einen anderen Menschen zu verwandeln. Derselbe Mann, der eben noch so dreist versucht hatte, Gracia zu erpressen, näherte sich nun mit einem Gesicht dem Büchertisch, als trete er vor den Altar einer Kirche, um mit gefalteten Händen die Seite vorzulesen, die seine Frau für ihn aufgeschlagen hatte.
»Die Biblia in spanischer Sprache, Wort für Wort übersetzt ... Von herausragenden Gelehrten ... Mit Erlaubnis des allerdurchlauchtigsten Herzogs von Ferrara ...«
Seine Stimme bebte vor Andacht wie im Gebet, während er die Widmung sprach, und in seinen schwarzen Augen schimmerten Tränen. Gracia schöpfte Hoffnung. Sollte die Bibel ihre Rettung sein?
Doch ihre Hoffnung währte nur einen Wimpernschlag. Ercole schüttelte den Kopf und klappte den Folianten zu. »So leid es mir tut«, sagte er, »ich kann dieses wunderbare Geschenk nicht annehmen.«
»Redet Ihr im Fieber?«, rief seine Frau. »Was sollte Euch daran hindern?«
»Meine Verantwortung für Ferrara«, erwiderte ihr Mann. »Die Annahme würde die Staatskasse vierzigtausend Dukaten kosten. Das lässt mein Gewissen nicht zu. Bedenkt nur - Euer Glockenturm
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