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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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haben?«
    Cornelius Scheppering musterte sein Gesicht. Der Bursche schien ein braver Italiener zu sein, trotz der roten Haare. »Und warum dienst du dann als Judenknecht?«, wollte er wissen.
    »Was bleibt mir anderes übrig? Ich habe eine Frau und zwei Kinder.«
    Cornelius Scheppering war nicht bereit, die Ausrede gelten zu lassen, und er wollte den Burschen schon scharf zurechtweisen, da fiel ihm seine eigene Jugend ein. Hatte nicht auch er selbst, bevor die Jungfrau Maria sich seiner erbarmte, in ähnlicher Weise versucht, sein Gewissen zu betrügen? Um seinen Judendienst bei der Firma Mendes zu rechtfertigen? Wer weiß, vielleicht geschah an diesem jungen Mann gerade dasselbe Wunder der Bekehrung, das auch ihm damals zuteilgeworden war. »Gib her«, sagte er und nahm dem Gesellen das Bündel aus der Hand.
    Consolagam äs tribulaqoes de Israel,
lautete der portugiesische Titel, »Tröstung für die Leiden des Volkes Israel«. Cornelius Scheppering runzelte die Stirn. Was sollte das sein? Eine Heilsgeschichte der Juden? Er wollte den Titel gerade überblättern, da erhaschte sein Auge den Namen des Verfassers: Samuel Usque. Nanu, den Namen kannte er doch! Während er eine juckende Pustel an seiner Schläfe kratzte, kehrte die Erinnerung allmählich zurück. So hieß doch der junge Kontorist, den er vor Jahren in Antwerpen verhört hatte, ein Angestellter der Firma Mendes, der in feiger Judenart seinen Brotherrn verraten hatte, um die peinliche Befragung unter der Folter zu verkürzen ... Ohne den Eiter zu bemerken, der aus der aufgebrochenen Schwäre quoll, begann Cornelius Scheppering zu lesen. Nein, er hatte sich nicht geirrt. Das Buch war eine einzige Ansammlung widerlicher Verfälschungen und Verdrehungen. Triefend vor Selbstmitleid, war von allen möglichen Verfolgungen und Ungerechtigkeiten die Rede, die angeblich dem Volk der Juden widerfahren waren, vom Anbeginn der Geschichte bis zum heutigen Tag ... Und immer wieder wurde der Name des Herrn missbraucht, um die Geschehnisse im Zwielicht jüdischer Selbstvergottung zu deuten: Israel als das auserwählte Volk, welches jedwede Drangsal einzig zu dem Zweck durchlebte, dass Gott es aus seiner Not errette, zum vermeintlich höheren Beweis, dass der Himmel mit den Juden sei ...
    Pfui Teufel! Nur mit Mühe brachte Cornelius Scheppering es über sich, all den Unrat in sich aufzunehmen, und sein Ekel war so groß, dass er das Lügenfabrikat tatsächlich schon beiseitelegen wollte, als Gott ihn für seine Qualen doch noch belohnte. Während er sich lesend der Gegenwart näherte, vollzog sich vor seinen staunenden Augen eine wundersame Metamorphose. Wie ein Schmetterling, der aus einer scheußlichen Larve hervorkriecht, entpuppte sich das Frevelwerk, indem es von Ereignissen berichtete, die Cornelius aus eigenem Erleben kannte, als ein unverhoffter Quell der Wahrheit, als ein Zeugnis der Offenbarung. All die Verbrechen, die Gottes treuester Knecht seit Jahr und Tag verfolgte, ohne dass er den Tätern einen Strick daraus hätte drehen können - hier waren sie, Seite für Seite, prahlend notiert und beschrieben!
    Mit feinem Lächeln leckte Cornelius Scheppering sich die Lippen. Das Judenvolk hatte sich selbst ans Messer geliefert.
     

30
     
    Am 14. September - Cornelius Scheppering war längst nach Venedig zurückgekehrt - erging in Ferrara der Erlass, dass alle Einwohner jüdischer Herkunft bis Punkt Mitternacht die Hauptstadt des Herzogtums verlassen müssten - widrigenfalls drohe ihnen der Verlust sämtlichen Eigentums. Die Anordnung, die mit Ercoles Unterschrift an allen Kirchen und öffentlichen Gebäuden angeschlagen war, erfolgte ohne jede vorherige Ankündigung und überraschte Samuel Usque in freudigster Stimmung, als er am frühen Abend den Palazzo Magnanini verließ. Er hatte dort Dona Gracia seine Aufwartung gemacht, um ihr das erste gebundene Exemplar seines Lebensbuches zu überreichen, der
Consolagam äs tribulaqoes de Israel.
    Sein Onkel Abraham erwartete ihn in der Druckerwerkstatt schon mit fertig gepackten Taschen.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Samuel, während er in aller Eile seine Habseligkeiten zusammensuchte. »Sie geben uns die Schuld an der Pest!« »Und wo sollen wir hin?«
    »Zum Hafen. Es heißt, dort warten Schiffe auf uns.«
    »Aber wir können doch nicht einfach so ... Wo sind bloß meine Strümpfe?«
    Noch während er sprach, flog klirrend ein Stein durchs Fenster, der Samuels Kopf nur knapp verfehlte, und gleich darauf erhob

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