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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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    Obwohl er mit fester Stimme gesprochen hatte, war nicht zu verkennen, wie schwer ihm die Worte fielen. Stumm und hilflos schlug er die Augen nieder, während Herzogin Renata in lautloses Schluchzen ausbrach.
    Gracia beschloss, alles in die Waagschale zu werfen, was sie besaß. »Und wenn sich Euer Verlust auf die Hälfte der Summe reduzieren ließe?«, fragte sie. »Würdet Ihr Euch dann in der Lage sehen, mein Geschenk anzunehmen? Für das Glück Eurer Gemahlin?«
    Ercole erwiderte ungläubig ihren Blick. »Wollt Ihr damit sagen, Ihr seid bereit, zusätzlich zu diesem herrlichen Werk ...« »Ja«, sagte Gracia. »Zwanzigtausend Dukaten, zur Vollendung des Glockenturms. Das Geld kann noch diese Woche zur Auszahlung gelangen.«
    Zusammen mit seinen Ministern und Beamten, die bisher wortlos dem Auftritt beigewohnt hatten, zog Ercole sich in einen Winkel des Saales zurück. Unter dem Sonnenwagen, der an der Decke gegen Abend verschwand, steckten sie die Köpfe zusammen und tauschten mit leisen Stimmen ihre Meinungen aus. Nach einer Weile, die Gracia wie eine Ewigkeit erschien, kehrte Ercole zu ihr zurück und sagte: »Das Gericht des Herzogtums Ferrara hat in Eurer Sache folgenden Beschluss gefasst. Die Führung der Firma Mendes verbleibt, wie von Eurem Schwager Dom Diogo testamentarisch verfügt, in Euren treuen Händen. Die Vormundschaft über Eure Nichte jedoch fällt an Eure Schwester Brianda mit sofortiger Wirkung zurück. Zur Sicherung ihres Vermögens erscheint dem Gericht die Hinterlegung von einhunderttausend Dukaten bei der Münze von Venedig sowohl erforderlich als auch ausreichend. - Könntet Ihr Euch auf diesen Kompromiss verständigen?«
    Gracia brauchte für die Antwort keine Sekunde. »Sobald Eure Kanzlei die Urkunde ausgefertigt hat, Durchlaucht, werde ich sie unterschreiben.«
    »Ich verstehe kein Wort«, sagte die Herzogin. »Was hat das alles mit meiner Bibel zu tun?«
    Ercole beugte sich über die Hand seiner Frau. »Von nichts anderem haben wir gesprochen, meine Liebe«, sagte er und küsste ihre Fingerspitzen. »Selbstverständlich nehme ich Dona Gracias Geschenk an - zu meiner eigenen Freude und in der Hoffnung, Euch damit einen Gefallen zu erweisen.«
    Die Herzogin stand eine Weile reglos da, die Augen groß vor Blödigkeit. Doch bald ging ein Strahlen über ihr Gesicht. In wortloser Überwältigung umarmte sie ihren Mann, dann wandte sie sich um und streckte beide Arme aus, um Gracias Hand zu ergreifen.
    »Danke, meine Freundin. Tausend und abertausend Dank.« Ohne ihre Hand loszulassen, begleitete sie Gracia hinaus ins Freie, wo im Hof die Kutsche wartete. Noch als der Wagen über die Brücke rasselte, stand Renata winkend im Tor, das frühgreisenhafte Gesicht erfüllt von altjüngferlicher Glückseligkeit. Auch Gracia winkte, bis die Herzogin hinter der Zugbrücke verschwand. Dann erst lehnte sie sich zurück, zufrieden mit dem, was sie erreicht hatte. Während die Kutsche stadteinwärts rollte, begann Gracia im stickigen Innern des Wagens zu schwitzen. Um Luft hereinzulassen, öffnete sie das Fenster. Als sie auf die Straße hinausschaute, stockte ihr der Atem.
    Nur einen Steinwurf entfernt, erblickte sie eine Gestalt, die aussah wie ein übergroßer Rabe. Ganz und gar verhüllt in einen schwarzen, dicht geschlossenen Mantel, unter dem nur die Füße hervorlugten, verbarg sie ihr Gesicht hinter einer Schnabelmaske, auf der eine Brille saß, und auf dem Kopf trug sie einen flachen schwarzen Hut mit breit ausladender Krempe. Gracia zog ein Tuch aus dem Ärmel ihres Kleides und hielt es sich vor den Mund. War in Ferrara die Pest ausgebrochen?
     

28
     
    Nein, Gracia hatte sich nicht getäuscht, das große Sterben hatte in Ferrara angehoben. Nur wenige Wochen später gehörten die Pestärzte in ihren schwarzen Umhängen bereits zum alltäglichen Bild auf den Straßen. Mit ihren bebrillten Schnabelmasken, die wohlriechende Spezereien gegen die Miasmen enthielten, wandelten sie durch die Gassen, um in alle Häuser mit einem farbigen Kreuz auf der Tür einzukehren, wo der Schwarze Tod so reichlich Ernte hielt, dass auf den Pestkarren, die in allen Vierteln der Stadt über das Pflaster rumpelten, sich immer höhere Berge nackter Leichen türmten, von ihren eigenen Angehörigen furchtsam aus den Fenstern geworfen, mitsamt allen Kleidern und Sachen, welche mit den Verblichenen in Berührung gekommen waren.
    »Bringt her eure Toten! Eure Toten bringt heraus!« Die Rufe drangen bis in die Räume

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