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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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irre geworden? Seine Hand fuhr zum Kopf, und mit flackernden, glühenden Augen kratzte er sich an der Stirn, so dass eine Pustel aufbrach und blutiger Eiter daraus hervorquoll. Während er mit zitternden Händen einen Lappen aus dem Ärmel seiner Kutte zog, um die Schwäre abzutrocknen, zermarterte Brianda sich das Gehirn. Was könnte sie tun, um den Dominikaner zu besänftigen? Plötzlich fiel ihr auf, dass überall an den Wänden Marienbilder hingen. Auf den meisten Gemälden trug die Muttergottes eine Dornenkrone, und aus ihrer Stirn quollen Tropfen von Blut - wie aus der von Cornelius Scheppering.
    »Bitte, Ehrwürdiger Vater«, flüsterte Brianda, »ich flehe Euch an. Im Namen der Heiligen Jungfrau!«
    Bei der Nennung des Mariennamens vollzog sich eine merkwürdige Verwandlung im Gesicht des Dominikaners. Als wäre der Dämon, der von ihm Besitz ergriffen hatte, plötzlich wieder ausgefahren, verschwand das Flackern aus seinem Blick, um einer beängstigenden Ruhe zu weichen. Nur selbstgewisser Glaubenseifer sprach aus seinen hellen, quellklaren Augen, als er auf Brianda zutrat, um wieder in artikulierter und deutlicher Rede das Wort an sie zu richten.
    »Seid Ihr bereit, ein Gelübde abzulegen - als Voraussetzung dafür, dass ich einen letzten Versuch unternehme, Eure Schwester zu bekehren?«, fragte er. »Im Namen des Heiligen Geistes?« Brianda nickte. »Dann kniet nieder!«
    Er hatte den Befehl mit solcher Schärfe gesprochen, dass sie, ohne nachzudenken, gehorchte.
    »Bist du bereit«, fragte er, »deinem Gott für immer zu entsagen sowie allen Handlungen, die zu seiner Verehrung geschehen, um fortan als Christenmensch zu leben und dermaleinst zu sterben?«
    »Ja, ich bin«, flüsterte Brianda.
    »Bist du bereit, dich zu dem einen dreifaltigen Gott zu bekennen - zu Gott dem Vater, Gott dem Sohn und Gott dem Heiligen Geist?« »Ja, ich bin.«
    »Und bist du bereit, deine Tochter in die Obhut der ehrwürdigen Dominikanerinnen zu geben, als Pfand deines Christenglaubens, damit dein Kind fortan auf dem Weg des Herrn wandelt wie du?« Brianda zögerte einen Moment. Dann flüsterte zum dritten Mal: »Ja, ich bin.«
    Cornelius Scheppering legte seine große, schwere Hand auf ihren Kopf. »So sprich mir nach! - Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe.«
    »Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe.« »Erbarme dich meiner, o Herr.« »Erbarme dich meiner, o Herr.«
    Während Brianda die Worte wiederholte, stieg ihr widerlicher Uringeruch in die Nase, und als Cornelius Scheppering unter seine Kutte griff, um dort nach irgendetwas zu wühlen, wurden die fäkalischen Ausdünstungen so stark, dass sie an sich halten musste, um nicht zu erbrechen. Wie hatte sie sich je auf diesen Mann einlassen können?
    »Zum Zeichen deiner Bekehrung trage ich dir auf, den Leib des Herrn zu küssen.«
    Für eine Sekunde zuckte Brianda zurück, in plötzlicher Angst, der Mönch würde sich vor ihr entblößen. Doch als Cornelius Scheppering seine Hand unter der Kutte hervorzog, hielt er ihr ein Kruzifix entgegen, an dem, schmerzensreich gekrümmt, der nackte Gottessohn, der Heiland, hing.
    »Los! Worauf wartest du? Um des Seelenheils deiner Schwester willen!«
    Brianda würgte den Brechreiz hinunter. Und während sie die Augen schloss, beugte sie sich vor, um mit ihren Lippen dem Gekreuzigten zu huldigen.
     

3
9
     
    Cornelius Scheppering frohlockte. Konnte es eine herrlichere Bestimmung des Menschen geben, als in der Knechtschaft Gottes zu leben? Jedes Missionswerk, dem ein Priester sich weiht und verschreibt, beginnt mit der Bekehrung der eigenen Seele, in steter Erneuerung des Glaubens, und an dieser seiner inneren Mission hatte Cornelius Scheppering es wahrlich nicht fehlen lassen: Er hatte der Schlange nicht nur den Kopf abgeschlagen, sondern sie ganz und gar im Staub zertreten, den Dämon in seiner Seele besiegt, ein für alle Mal, um fortan auf seinem Lebenspfad gefeit zu sein gegen jedwede Anfechtung und Versuchung. Nur wer selbst sein eigner Meister ist, dem ist die weite Welt und alles Untertan!
    Die Unterwerfung seiner selbst unter die Herrschaft der von Gott geschenkten Willensvernunft war unter Schmerzen vollbracht. Doch nun stand ihm die zweite, ungleich größere und bedeutendere Aufgabe seiner Mission bevor: den Dämon außerhalb seiner selbst zu besiegen, in der sichtbaren Welt der Dinge und Erscheinungen, wo dieser nach wie vor sein Unwesen trieb. In gebotener Ernsthaftigkeit,

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