Die Gottessucherin
»Ein Weg, den die Folter mich lehrt, kann nur ein Irrweg sein!« Bei dem Wort »Folter« zuckte Cornelius Scheppering zusammen, als hätte ihm jemand die Haut geritzt. Er hatte den Begriff absichtlich vermieden, aus tiefverwurzeltem Widerwillen gegen diese geistesverletzende Form der Barbarei. Doch Gracia Mendes ließ ihm keine Wahl. Wollte er die Ketzerin zur Wahrheit bekehren, müsste er sich überwinden und ihr die Qualen vor Augen führen, die sie zu gewärtigen hätte.
»Irrweg?«, schleuderte er ihr entgegen. »Wie wollt Ihr das wissen, da Ihr die Prüfung gar nicht kennt? Wenn Ihr erst auf dem Schrägen liegt und die peinliche Befragung beginnt, werdet Ihr Euren Hochmut bitter bereuen und um Gnade winseln.« Obwohl er mit Donnerstimme sprach, kamen die Sätze ihm so qualvoll über die Lippen, als läge er selbst unter der Folter. »Man wird Euch Daumenschrauben anlegen«, fuhr er fort, »und scharfe Stricke um Euren Leib winden, die sich mit Hilfe eines Rades immer fester zusammenziehen und in Euer Fleisch schneiden und Euch zerquetschen. Das Krachen Eurer Knochen, das Blut, das aus Euren Poren spritzt, wird Euch die Wahrheit vor Augen führen, die Ihr so widerborstig leugnet. Mit glühenden Zangen wird man Euch traktieren, die Nägel und Brüste wird man Euch abreißen ...«
Die Aussicht auf die himmlische Gerechtigkeit verfehlte nicht ihre Wirkung: Totenblässe überzog Gracias Gesicht. Erschöpft hielt Cornelius Scheppering in seiner Rede inne. »Was droht Ihr mit Folter, wenn Ihr den Scheiterhaufen schon errichtet habt?«, sagte Gracia Mendes. »Doch ich flehe Gott um Hilfe an, damit ich die Schmerzen ertrage, ohne ihn ein weiteres Mal zu verraten. Denn schlimmer als die Qualen des Leibes sind die Qualen des Gewissens.«
»Ihr wisst nicht, was Ihr redet! Mögen die Qualen des Gewissens schlimmer sein als die Qualen der Folter - unendlich schlimmer sind die Qualen der Hölle, die nach Verwirkung Eures irdischen Lebens auf Euch warten, wenn Ihr durch das Tor des Todes gegangen seid!«
»Wenn ich die Hölle fürchte, dann nicht, weil ich am Glauben meiner Väter festhalte, sondern weil ich zu schwach gewesen bin in meinem Glauben. Darum hat Gott mich verlassen und mich zur Strafe in Eure Hand geliefert ...«
Sie wollte noch etwas sagen, Cornelius Scheppering beobachtete es genau, ihr Mund stand offen, ihre Lippen bewegten sich, doch die Zunge versagte ihr den Dienst. Hatte die Sprachlosigkeit, vor der er sich gefürchtet hatte, nun an seiner Stelle Gracia Mendes heimgesucht?
Plötzlich ging ein Zucken durch ihr Gesicht, der Hochmut in ihrer Miene zerbarst wie eine gläserne Schale, und noch bevor ein weiteres Wort über ihre Lippen kam, brach sie in Tränen aus. Sie schlug die Hände vors Gesicht und sank auf einen Stuhl. Cornelius Scheppering sah ihre Zerknirschung mit Erleichterung, ja Rührung, und er schämte sich seiner Gefühle nicht. War der Dämon in ihr endlich vernichtet?
»Ja, weint nur«, sagte er sanft. »Tränen sind die Boten der Reue. In ihrem Gefolge kehren Vernunft und Gottesliebe ein.« Er legte seine Hand auf ihre Schulter, in der Hoffnung, dass die Berührung nicht nur ihren Leib, sondern auch ihre Seele erreiche. »Denkt an Eure Tochter. Sie ist ein Geschenk des himmlischen Vaters, ein Gottespfand. Es ist Eure Pflicht, für sie zu sorgen, statt Euer Leben für einen falschen Götzen wegzuwerfen.« Gracia schaute mit tränennassen Augen zu ihm auf. »Wie viel hat sie Euch geboten?«
Obwohl sie keinen Namen nannte, begriff Cornelius Scheppering sofort, wen sie mit ihrer Frage meinte. Sollte er ihr sagen, wer ihn angefleht hatte, dieses Gespräch mit ihr zu führen, um sie vor dem Tod zu bewahren? Oder würde er dadurch sein Werk gefährden und die Bekehrung zunichtemachen? Statt für die Wahrheit entschied Cornelius Scheppering sich für Gott. »Ich weiß nicht, wovon Ihr redet«, erklärte er. »Von meiner Schwester! Von meinem Geld!«, rief Gracia Mendes. »Werdet Ihr Euch das Erbe mit Brianda teilen? Oder bekommt sie alles, als Dank für ihren Verrat, wenn sie Eurem Christengott die Treue schwört?«
»Allein für diese Frage habt Ihr den Tod verdient«, erwiderte Cornelius Scheppering scharf. »Nicht Eure Schwester hat Verrat geübt - Ihr seid die Verräterin! Eure Schwester folgte nur dem Ruf ihrer Seele, als sie Euren Gottesverrat zur Anzeige brachte. Sie ist Euch auf dem Weg der Umkehr und Buße vorausgegangen - nehmt Euch ein Beispiel an ihr! Darum reiche ich Euch die
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