Die Gottessucherin
Ja, Ihr habt Wort gehalten, und Tristan da Costa ist wohlauf. Aber - ich habe Angst um meine Schwester. Man hatte mir gesagt, man würde ihr lediglich den Reisepass abnehmen und sie zu einer Geldstrafe verurteilen, wenn ich sie der Juderei bezichtige. Und was passiert jetzt?«
»Darüber wird das Glaubensgericht entscheiden«, erwiderte Cornelius Scheppering.
»Aber wenn ich doch meine Anschuldigung widerrufe! Ohne Klage erübrigt sich der Prozess!«
»Hat man Euch je mit Verstand das Johannesevangelium ausgelegt?« Der Dominikaner klappte seinen Aktendeckel zu und blickte sie an.
»Natürlich. Gewiss. Don Umberto, der Gemeindepfarrer von San Marcuolo, hat es in vielen seiner Predigten gedeutet. Aber was hat das mit meiner Schwester zu tun?«
Cornelius Scheppering erhob sich von seinem Schreibtisch. »Das will ich Euch erklären.«
Aus Furcht, mit den Schwären des Mönchs in Berührung zu kommen, machte Brianda einen Schritt zurück. Seit der Verhaftung ihrer Schwester war beinahe ein Monat vergangen - ein Monat verzweifelten und vergeblichen Bemühens. Kaum war Gracia unter Hausarrest gestellt worden, hatte Brianda Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um die Eröffnung des Prozesses zu verhindern. Zusammen mit Tristan da Costa hatte sie versucht, mit dem Dogen Francesco Dona zu sprechen, und als das misslang, mit jedem einzelnen Mitglied des Zehnerrats. Doch wo immer sie anklopften, überall stießen sie auf verschlossene Türen. Nur der Bestechung eines ebenso eitlen wie geldgierigen Prälaten, dem Tristan da Costa eine Geldkatze mit zehn Golddukaten unter die seidene Soutane gesteckt hatte, war es zu verdanken, dass sie, Brianda, heute zum Inquisitor und Leiter der Glaubensbehörde vorgedrungen war.
»Im Anfang war das Wort«, zitierte Cornelius Scheppering. »und das Wort war bei Gott. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis. - Wisst Ihr, was das bedeutet?«
»Gott ... ich meine Jesus Christus«, stammelte Brianda unsicher, »er ist das Licht, das in die Welt kam ... So hat es Don Umberto erklärt.«
Cornelius Scheppering hob überrascht die Brauen. »Richtig«, knurrte er. »Jesus Christus ist das Licht, denn Gott ist die Wahrheit. So wie die Finsternis gleichbedeutend mit der Welt der Menschen und ihrer Irrtümer ist. Und eben darum«, fuhr er fort, als er die Verwirrung in Briandas Gesicht sah, »könnt Ihr Eure Klage nicht einfach zurücknehmen. Mit Eurer Klage kam das Licht der Wahrheit in die Finsternis der Welt. Dieses Licht löschen heißt, den dreifaltigen Gott selbst zu leugnen!« »Aber wenn es doch gar nicht die Wahrheit war!«, rief Brianda. »Habt Ihr vergessen, was ich Euch sagte? Ihr seid ein Werkzeug Gottes, damit die himmlische Gerechtigkeit Eure Schwester ereilt. Wollt Ihr Euch nun zum Werkzeug Eures alten Götzen machen? Bedenkt, dass auch gegen Euch Klage erhoben worden ist! Wir können den Prozess jederzeit eröffnen. Außerdem bedarf es nur eines Fingerschnippens, um Euren Agenten wieder einzusperren.«
»Ich bin bereit, Euch alles zu geben«, sagte Brianda. »Mein ganzes Vermögen, meine Mitgift, das Erbe meiner Tochter. Nur lasst meine Schwester frei!«
Die Blicke des Mönchs wurden nur noch zorniger. »Wollt auch Ihr mit mir schachern?«, herrschte er sie an. »Nach alter Judenart?«
»Ich bitte Euch nur um Erbarmen. Im Namen des dreifaltigen Gottes!«
»Ihr missbraucht den Namen des Herrn! - Nein, nicht für alles Geld der Welt! Es gibt nur einen Menschen, der den Prozess gegen Eure Schwester aufhalten kann.« »Dann nennt mir seinen Namen!«
Cornelius Scheppering bezähmte seine Erregung, und mit festem Blick erklärte er: »Gracia Mendes!«
»Meine Schwester selbst?«, erwiderte Brianda. »Was soll sie tun?« »Ihrem Götzenglauben abschwören und sich zum dreifaltigen Gott bekennen. Das ist die einzige Möglichkeit, ihre Seele zu retten. Ihre Seele und ihr Leben.«
»Dann lasst mich zu ihr«, sagte Brianda. »Ich werde meine Schwester zur Vernunft bringen.«
Doch Cornelius Scheppering schüttelte den Kopf. »Das kann nur der Heilige Geist!«, rief er. »Der Heilige Geist in der Dreifaltigkeit ... in der heiligen Geistigkeit ... in der gei... gei... geistigen Heiligkeit ...«
Als hätte er plötzlich die Sprache verloren, brabbelte Cornelius Scheppering sinnlose Worte, die ohne jede Verstandeslenkung über seine Lippen drangen, um dann plötzlich zu verstummen. Entsetzt starrte Brianda ihn an. War er
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