Die Gottessucherin
Hand. Zum allerletzten Mal! Weil Gott die Liebe und Barmherzigkeit ist. Wenn Ihr widerruft und Euch zu Jesus Christus bekennt, seid Ihr frei, und Eure Tochter darf zu Euch zurückkommen! Und was Euer Erbe betrifft, so verspreche ich Euch ...« Der Blick, der ihn aus ihren Augen traf, war von solchem Abscheu erfüllt, dass er mitten im Satz verstummte. »Wollt Ihr um meine Tochter schachern?«, fragte Gracia Mendes. »So wie Ihr in Antwerpen um sie geschachert habt? Bevor Ihr meinen Schwager und meine Glaubensbrüder umgebracht habt?«
Wie Peitschenhiebe trafen diese Worte Cornelius Scheppering, und nur unter Aufbietung aller Selbstzucht gelang es ihm, Gracias Blick standzuhalten. Er war gekommen, um dieses Weib unter den Willen des dreifaltigen Gottes zu zwingen. Doch was war seine Glaubenszuversicht angesichts der Glaubensfestigkeit, die ihm in Gestalt dieser Jüdin begegnete? Ein Schauer lief ihm über den Rücken, wie sonst nur bei der heiligen Wandlung oder im Mariengebet. Handelt so ein Weib, das um des Mammons willen die eigene Schwester verrät?
Cornelius Scheppering wollte ihr widersprechen. Die Ermordung der Juden von Antwerpen war nicht sein Werk gewesen, sondern das Werk des Spaniers Aragon, den er genauso verabscheute wie sie! Doch plötzlich nahm ein Gefühl grenzenloser Müdigkeit von ihm Besitz. Was war mit ihm geschehen? Was hatte seine Niederlage besiegelt? Die Erkenntnis war so bitter wie ein Kelch Galle, und doch musste er ihn trinken. Der Glaube von Gracia Mendes war größer als seiner. An diesem Glauben zerschellten seine Worte wie Boote aus morschem Holz an einem Fels in der Brandung.
Beschämt und besiegt schlug Cornelius Scheppering die Augen zu Boden.
»Geht!«, sagte sie leise. »Geht und verlasst mein Haus!« Als hätte ihr Wort Gewalt über ihn, raffte er seine Kutte, um ihrem Befehl zu folgen. In der Tür blieb er noch einmal stehen. War es möglich, dass er diese Frau beneidete?
Gracia Mendes hatte die Hände wieder vor ihr Gesicht geschlagen, und stumme Schluchzer schüttelten ihren kleinen, zarten Leib, ohne dass sie Notiz von Cornelius Scheppering nahm.
40
Kaum hatte Cornelius Scheppering den Raum verlassen, übermannte Gracia die Angst mit solcher Macht, dass sie am ganzen Leib zu zittern begann und ihre Zähne wie im kalten Fieber aufeinanderschlugen.
Sie wusste, dass sie sterben würde, und während diese Erkenntnis sich in ihre Seele fraß, rannen die Tränen, die sie vor dem Dominikaner noch versucht hatte zu verbergen, ungehindert über ihre Wangen. Warum hatte Gott Briandas Verrat zugelassen? Für welche Schuld wollte er sie strafen? Nahm er immer noch Rache für die Sünde in ihrer Hochzeitsnacht? Oder für die Liebe, die sie mit dem Mann ihrer Schwester verbunden hatte?
In wirren Bildern sah Gracia, wovor ihre Seele sich fürchtete, nahmen Cornelius Schepperings Worte Gestalt an, Schreckensbilder, die sie bis in die Nacht verfolgten, von vermummten Folterknechten, die sie auf einen Schrägen banden, von Zangen und lodernden Flammen, die nach ihrem festgezurrten Körper leckten. Sie spürte die Seile, die in ihr Fleisch schnitten, hörte das Knacken und Krachen ihrer Knochen, sah das Blut aus ihren Poren spritzen, während eine Horde nackter Hexenweiber, zottelhaarig und mit hängenden Zitzenbrüsten, über flackernden Feuerbecken mit einem Kind hantierte. Zusammen mit schwarzroten Teufeln umtanzten sie das Feuer, zerrissen den weißen Kinderleib mit pechverschmierten Krallenhänden, hauten ihre langen gelben Zähne in das Fleisch und verleibten sich die saftigsten Stücke ein, mit rollenden Augen und triefenden Lefzen ...
Heiteres Vogelgezwitscher weckte Gracia am nächsten Morgen. Geblendet vom Sonnenlicht, wachte sie blinzelnd in einem Sessel auf, in denselben Kleidern, die sie am Vortag getragen hatte. Hatte sie überhaupt geschlafen ? Für einige Augenblicke wusste sie nicht, wo sie war, und atmete die frische Meeresluft ein, die durch das offene Fenster wehte. Doch plötzlich fiel ihr alles wieder ein, der Disput mit Cornelius Scheppering, die Gefahr, in der sie schwebte ...
Entsetzt sprang sie auf. War sie wahnsinnig, ihr Leben hinzugeben? Nur um dem verfluchten Dominikaner ihren Glauben zu beweisen?
Sie hatte reagiert wie ein Tier im Pferch, und statt ihrer Vernunft war sie ihrem Stolz und ihrem Jähzorn gefolgt. Sie sah das Kind aus ihrem Höllentraum, in den Fängen der nackten Zottelweiber. Hatte Gott ihr das Schreckensbild gesandt, um sie an
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