Die Gottessucherin
ausgeschlossen!«, erklärte die Nonne. »Melde dich bei der Schwester Oberin! Sie wird für weitere Strafe sorgen.«
Während die Mädchen mit gesenkten Köpfen den Kapitelsaal verließen, um in ihre Zellen zurückzukehren, kämpfte Reyna mit den Tränen. Der Ausschluss vom Nachtgebet bedeutete, dass sie sich vor der Andacht bäuchlings im Eingang des Gebetsraums auf den Boden legen musste und die Nonnen über sie hinwegliefen wie über einen Fußabtreter. Diese Strafe war schon einmal über sie verhängt worden. Es war die schlimmste Demütigung ihres Lebens gewesen.
Schwester Domenica rasselte auf dem Zellengang bereits mit den Schlüsseln, als Lätissima, die kleine, dicke Kustodin, mit wehendem Schleier herbeigeeilt kam.
»Die Hospitantin Reyna Mendes soll sich an der Pforte melden!« »Reyna Mendes?« Schwester Domenica schüttelte den Kopf. »Sie darf keinen Besuch empfangen!«
»Trotzdem soll sie zur Pforte! Eine Anordnung der Schwester Oberin!«
In Erwartung ihrer Strafe folgte Reyna der Kustodin den Kreuzgang entlang. Was hatte die Oberin sich* wohl diesmal ausgedacht? Latrinendienst oder eine Woche Schweigen? Am schlimmsten war die Arrestzelle im Keller. Dort war es so dunkel, dass man nicht mal die Hand vor Augen sah. Drei Tage und drei Nächte hatte Reyna schon dort verbringen müssen. Nur weil sie versucht hatte, einen Brief an ihre Mutter aus dem Kloster zu schmuggeln.
Die Oberin erwartete sie bereits an der Pforte, zusammen mit einem Mann, der mit dem Rücken zu ihr stand. Als er sich umdrehte und Reyna sein pockennarbiges Gesicht sah, machte ihr Herz vor Freude einen Sprung. »Duarte Gomes ?«
»Ich bringe Euch gute Nachricht«, sagte der Agent. »Eure Mutter ist frei. Ihr dürft das Kloster verlassen.«
43
Der riesige Edelstein, den der Gesandte des Sultans an seinem Turban trug, war von solcher Leuchtkraft, dass in seinem lichtersprühenden Widerschein sogar die Marmorwände des Dogenpalastes zu funkeln schienen. Unbeeindruckt von all dem Glanz, trat Gracia an Sinans Seite vor den Richtertisch, wo ihre Schwester Brianda bereits in Begleitung ihres Vertrauensmannes Tristan da Costa wartete. Mit einem feindseligen Blick auf den Türken, der mit der Kriegsdrohung seines kaiserlichen Herrn den Gerichtsbeschluss gegen den Willen der Inquisition sowie der Staatsregierung erzwungen hatte, erhob sich Francesco Dona, oberster Richter der Serenissima, von seinem Platz, rückte die steife Hornkappe zurecht, die er zum Zeichen seiner Dogenwürde auf dem Aristokratenhaupt trug, und erklärte: »Der Zehnerrat der Republik Venedig verkündet folgendes ab xschließendes und endgültiges Urteil im Streit um das Erbe der Firma Mendes: Besitz und Führung des Handelshauses verbleiben vollständig und ausschließlich in Händen von Gracia Mendes, Witwe des 1535 in Lissabon verstorbenen Handelsherrn Francisco Mendes. Ihre Schwester Brianda Mendes erhält aus dem Nachlass ihres Gatten Diogo Mendes, zu Tode gekommen in Antwerpen, die Summe von achtzehntausendeinhundertdreiundzwanzig italienischen Scudi zugesprochen, zum Ausgleich ihrer in die Ehe eingebrachten Mitgift. Als Sicherheit für das Erbe ihrer Tochter La Chica, die fortan der alleinigen und ausschließlichen Willenshoheit ihrer leiblichen Mutter untersteht, verbleiben bis zum Tag der erlangten Volljährigkeit oder Verheiratung die durch Gracia Mendes bereits hinterlegten einhunderttausend Golddukaten im Gewahrsam der venezianischen Münze.«
Die Schwestern nahmen an den entgegengesetzten Enden eines übergroßen, goldverzierten Marmortisches Platz, um unter aufmerksamer Beobachtung ihrer beiden Rechtsbegleiter den Beschluss mit ihren Unterschriften aktenkundig zu machen. Wie lange hatte Gracia auf diesen Augenblick gewartet! Als sie die Gänsefeder in die Tinte tauchte, zitterte ihre Hand, und sie hatte Mühe, ihren Namen leserlich zu Papier zu bringen. Dann war es vollbracht. Der Gerichtsdiener streute Sand auf die Tinte, und noch einmal ließ der Doge seine Stimme vernehmen. »Damit steht es sowohl Gracia Mendes als auch ihrer Schwester Brianda Mendes frei, in Venedig wohnhaft zu bleiben oder aber auszuwandern, mit oder ohne ihren Besitz an Geld und Waren, gleichgültig, wohin die eine oder andere von ihnen zu ziehen beliebt. Die Sitzung des Gerichts ist beendet.« War es wirklich aus und vorbei? Eine lange Weile blickte Gracia auf das Dokument in ihrer Hand, dann rollte sie es zusammen und erhob sich. Nein, die Erleichterung, die sie sich
Weitere Kostenlose Bücher