Die Gottessucherin
kamen ihr jetzt vor wie ein Zeichen seiner Männlichkeit. Auf jeden Fall waren sie schöner als die Ohren aller anderen Männer, die sie kannte. »Was hast du?«, wollte er wissen. »Warum schaust du mich so an?«
»Ich ... ich muss dich etwas fragen«, erwiderte sie. »Aber du darfst mich nicht auslachen. Versprochen?«
»Versprochen!«
Reyna zögerte einen Moment. Dann gab sie sich einen Ruck. »Die Haremsfrauen - sind sie wirklich so schön, wie man sagt?« »Woher soll ich das wissen?«, antwortete er. »Kein fremder Mann darf sie sehen. Außerdem sind sie verschleiert.« »Trotzdem - hast du nie eine zu Gesicht bekommen?« »Reyna, was sollen solche Fragen?« »Los, sag schon! Ich möchte es einfach wissen!« Aufmerksam musterte sie sein Gesicht. Konnte es wirklich sein, dass er rot geworden war? Die herrlichen Schauer, die eben noch über ihren Rücken gerieselt waren, versiegten mit einem Mal. Plötzlich war da nur noch entsetzliche Angst. Warum hatte sie ihm nur diese dumme Frage gestellt? Wenn er jetzt ihrem Blick auswiche, dann ...
Doch statt die Augen niederzuschlagen, grinste er sie an. »Bist du etwa eifersüchtig?«
Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, und beschämt sah sie zu Boden. Aber José hob mit der Hand ihr Kinn, so dass sie ihn anschauen musste, und immer noch grinsend schüttelte er den Kopf.
»Du weißt doch, ich mag nur Frauen mit Sommersprossen«, sagte er leise. Dann wurde sein Gesicht plötzlich ernst. »Glaub mir, Reyna, was immer passiert, ich liebe nur dich - dich ganz allein.«
Als sie die Zärtlichkeit sah, die aus seinen ernsten Augen sprach, waren die herrlichen Schauer wieder da, noch herrlicher und schöner als zuvor. »Gott sei Dank«, flüsterte sie.
»Ja, Gott sei Dank«, flüsterte auch er, während er ihr Gesicht mit kleinen, zärtlichen Küssen bedeckte, als wollte er keine einzige Sommersprosse auslassen. »Ich liebe dich, Reyna! Ich liebe dich!«
»Dann halt mich fest! Und lass mich nie wieder los!«
»Nein, mein Täubchen ... Nie wieder ... Ich will bei dir sein, ganz nah ...«
»Ja, so nah es irgendwie geht ...« »Nur du und ich ... »Jeden Tag ...« »Und jede Nacht ...«
4
»José und ich wollen endlich heiraten«, erklärte Reyna. »Nein«, erwiderte ihre Mutter. »Erst muss die neue Synagoge fertig sein.«
»Was hat die neue Synagoge mit unserer Hochzeit zu tun? Es gibt über ein Dutzend andere in der Stadt. Wir können überall heiraten!«
»Ich will den Sultan zu eurer Hochzeit einladen. Seine Teilnahme wäre ein wichtiges Zeichen. Für die ganze jüdische Gemeinde.«
»Der Sultan führt Krieg in Ungarn. Das kann noch ewig dauern. Bitte, Mutter, du hast es versprochen - sobald José da ist, dürfen wir heiraten. Jetzt ist er da, seit fast einem halben Jahr schon, und du hast noch nicht mal den Tag festgelegt. Immer wieder findest du neue Gründe, um unsere Hochzeit zu verschieben.« »Meinst du, das mache ich zu meinem Vergnügen? Du siehst doch selbst, wie viel ich zu tun habe! Wir haben täglich achtzig Leute zur Armenspeisung im Haus!«
»Ja, du fütterst halb Konstantinopel, aber für die Hochzeit deiner Tochter hast du keine Zeit!«
»Jede Woche kommen neue Flüchtlinge an. Woher soll ich das Geld nehmen? Eure Hochzeit kann warten. José würde besser nach Ancona fahren, um sich dort um unsere Geschäfte zu kümmern. Ancona ist der letzte Hafen in Italien, wo die Inquisition uns noch in Ruhe lässt.«
»Wozu haben wir dann auf unserer Reise dort drei Monate Zwischenstation gemacht? Du hast doch damals selbst alles schon geregelt. Die Firma Mendes ist das größte Handelshaus in Ancona. Das hast du selbst gesagt!«
»Das reicht nicht. Wahrscheinlich müssen wir Venedig aufgeben. Die Inquisition sitzt Duarte Gomes im Nacken. Und was dann? Wir brauchen einen Ersatzhafen! Sonst gehen wir bankrott! -Aber du hast ja nur deine Hochzeit im Kopf!«
Mitten im Satz kehrte Gracia ihrer Tochter den Rücken zu und trat ans Fenster. Längst war die Nacht auf Konstantinopel herabgesunken, doch die Lichter der riesigen Stadt spiegelten sich tausendfach in den Fluten des Bosporus, zusammen mit dem klaren Sternenhimmel. Im Schein der schmalen Mondsichel erhoben sich die Hügel über dem Wasser wie finstere, bedrohliche Schatten.
»Ich bin wirklich stolz auf dich«, sagte Reyna. »Und ich bewundere aufrichtig, was du tust. Aber wir sind am Ziel, Mutter, wir sind angekommen. In Konstantinopel! Dort, wo du immer sein wolltest! Wir sind
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