Die Gottessucherin
könnt Ihr nur daran zweifeln?«, fragte er schließlich. »Für Reyna würde ich mir nicht nur ein Stückchen Haut abschneiden lassen, sondern auch meinen rechten Arm!« Er trank den Wein aus und erhob sich von seinem Stuhl. »Sagt Eurem Mohel, er soll in Gottes Namen sein Messer wetzen. Damit Dona Gracia keine Ursache mehr hat, mich als ihren Schwiegersohn abzulehnen.«
6
Im Frühling des Jahres 1554 kehrte Sultan Süleyman an der Spitze seines Janitscharen-Heeres siegreich nach Konstantinopel zurück, wo er mit militärischem Ehrensalut, abgeschossen aus zwei Dutzend Kanonen von der Hügelspitze des Goldenen Horns, sowie dem begeisterten Jubel seiner Untertanen empfangen wurde. Gracia atmete auf - die Ankunft des Herrschers erfolgte keinen Tag zu früh. Nach Joses Beschneidung, die vor wenigen Wochen erfolgt war, hatte sie keine Gründe mehr finden können, die Hochzeit ihrer Tochter noch länger hinauszuzögern. Doch jetzt hatte sie Gelegenheit, das Problem, das wie kein anderes auf ihrer Seele lastete, endlich aus der Welt zu schaffen. Sie war bereit, alles für eine Lösung zu tun, die sowohl den Herzenswünschen ihrer Tochter als auch der Verwirklichung ihrer eigenen Mission im Dienst des Volkes Israel gerecht werden würde. Dank der Vermittlung ihres Freundes Amatus Lusitanus, der Süleyman nach dessen erfolgreichem Feldzug mit dem Befund beglücken konnte, dass er sich trotz seiner siebenundfünfzig Jahre der Gesundheit eines Jünglings erfreue, wurde Gracia noch vor dem Pessachfest die außerordentliche Gunst zuteil, als erste Frau, die nicht zum kaiserlichen Harem gehörte, dem Sultan ihre Aufwartung machen zu dürfen.
Es war ein strahlend schöner Frühlingstag, als ihre Kutsche durch das »Tor der Begrüßung« in den Hof des Topkapi-Serails rasselte. Anders als die Paläste, die Gracia aus Europa kannte, bestand der Herrschersitz der Osmanen nicht aus einem einzelnen Gebäude, sondern aus einer Vielzahl großer und kleiner Pavillons, die, eingebettet in blühende Gärten, über den gesamten Serail-Hügel mit Blick auf das Meer verteilt waren wie eine Zeltstadt aus Stein inmitten einer Oase.
»Brrr«, machte der Kutscher und zügelte die Pferde. Vogelgezwitscher erfüllte die seidige Luft, als Gracia aus dem Wagen stieg und ihren Dienern Anweisung gab, die Gastgeschenke den Mohren zu übergeben, die zu ihrem Empfang bereits Spalier standen. Da sie wusste, dass Süleyman selbst Gedichte verfasste, hatte sie eine ganze Bibliothek kostbar eingebundener Bücher mitgebracht, in der Hoffnung, sich so schon vor Beginn ihrer schwierigen Verhandlung das Wohlwollen des Mannes zu sichern, von dem das Glück ihrer Tochter und die Zukunft ihres Volkes abhingen. »Wenn Ihr mir bitte folgen würdet?«
Gracia prüfte noch einmal den Knoten des Schleiers, mit dem sie auf Anraten von Amatus Lusitanus wie eine Orientalin ihr Gesicht verhüllt hatte. Wo würde der Sultan sie empfangen? Sie hatte erwartet, dass der Obereunuch, der sie in fließendem Italienisch angesprochen hatte, sie zum offiziellen Audienzpavillon geleiten würde, dessen Dach sich am Ende des Hofes über dem »Sultan-Tor« erhob. Doch der Kastrat führte sie an einem langgestreckten Küchengebäude vorbei, in dessen Schatten kahlgeschorene Küchenjungen mannshohe Kupferkessel schrubbten, und ging dann weiter auf den Haremsbereich zu, wo sich Süleyman in seinen Privatgemächern von seinen Amtsgeschäften erholte, umgeben von fünfhundert Frauen, die keinen anderen Daseinszweck kannten, als ihren Gebieter glücklich zu machen und sein Haus in ein Haus der Glückseligkeit zu verwandeln. »Bitte wartet einen Augenblick.«
Bewacht wurde das Tor von grimmig dreinschauenden Janitscharen. Die Körper reglos wie Statuen, verfolgten sie aus den Augenwinkeln jede noch so kleine Bewegung, jederzeit bereit, von ihren Krummsäbeln Gebrauch zu machen, um das Allerheiligste des Palastes zu schützen. Auf ein Zeichen des Eunuchen traten sie beiseite. »Ihr könnt eintreten.«
Als Gracia das Tor zum Harem durchschritt, empfing sie auf der anderen Seite dämmrige Kühle, erfüllt vom zarten Duft taufrischer Rosenblätter. Während ihre Augen sich allmählich an das Halbdunkel gewöhnten, glaubte sie, hinter den Gitterfenstern, die ihren Weg durch den Gewölbegang links und rechts säumten, leises Tuscheln und Kichern zu hören, doch sobald sie in die Richtung schaute, aus der die geheimnisvollen Stimmen kamen, verschwanden die Gesichter hinter den Gittern,
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