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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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keinerlei Feinden des Türkenreiches Unterstützung erhielten, standen sie in dem Ruf, dem Sultan treuer ergeben zu sein als alle anderen seiner ungläubigen Untertanen. Mit ihren vielfältigen Kenntnissen und Fertigkeiten waren sie Süleyman nicht nur willkommen, er umwarb sie sogar, damit sie sich in seiner Hauptstadt ansiedelten. Juden waren lesekundig und sprachen alle bekannten Sprachen; sie trieben Handel in der ganzen Welt und verstanden sich aufs Bankgeschäft; sie waren die besten Ärzte und Apotheker und außerdem in der Kunst geübt, Feuerwaffen und Kanonen herzustellen. Zwar waren sie auch in Konstantinopel gehalten, zum Zeichen ihrer Glaubenszugehörigkeit gelbe Turbane auf den Köpfen zu tragen, doch niemand kümmerte sich um die Beachtung dieser albernen Vorschrift. Statt die Juden durch Gesetze einzuschränken, gab Süleyman ihnen vielmehr die Freiheit, in allen drei Teilen der Stadt, in Stambul und in Pera und Skutari, Synagogen zu betreiben. Juden aller Herren Länder, aus Spanien und Portugal, aus Schwaben und Sizilien, aus Ungarn und der Slowakei, durften in eigenen Gemeinden, doch ohne Verbannung in ein Ghetto, nach ihren Vorschriften und Bräuchen leben, ja, sie genossen sogar das Privileg, nach eigenem Recht und Gesetz ihre Beziehungen untereinander zu regeln - vorausgesetzt freilich, dass davon nicht die Belange rechtgläubiger Untertanen betroffen waren. Fünfzigtausend Juden lebten auf diese Weise in Konstantinopel, als Gracia Mendes im Jahre 1553 mit ihrem Gefolge am Goldenen Horn eintraf - fünfzigtausend Glaubensbrüder, die mit ihrem Beispiel den arabischen Namen der Stadt zu beglaubigen schienen: Der-i-Saadet - »Die Pforte zur Glückseligkeit«. War sie endlich ans Ziel ihrer Reise gelangt? Hatte sie das Gelobte Land erreicht?
     

2
     
    In der Synagoge war die Hölle los. Zur Feier des Purim-Festes, das an die Errettung der Juden in der persischen Glaubensfremde vor zweitausend Jahren erinnerte, verlas Rabbi Soncino das Buch Esther, und jedes Mal, wenn in dem Bericht der Name Haman fiel, der Name also jenes Mannes, der den Perserkönig Ahasver zur Vernichtung des Volkes Israel angestiftet hatte, verlangte der Brauch, dass alle anwesenden Kinder der Gemeindemitglieder lärmten, so laut sie nur konnten, mit Ratschen und Knarren und Klopfern. Dabei stampften sie so heftig mit den Füßen, dass das alte, enge Gotteshaus, das bis auf den letzten Platz gefüllt war, in den Grundmauern bebte.
    »Mordechai schrieb alles auf, was geschehen war. Er schickte das Schreiben an alle Juden in allen Provinzen des Königs Artaxerxes nah und fern und machte ihnen zur Pflicht, den vierzehnten und den fünfzehnten Tag des Monats Adar in jedem Jahr als Festtag zu begehen. Das sind die Tage, an denen die Juden wieder Ruhe hatten vor ihren Feinden; es ist der Monat, in dem sich ihr Kummer in Freude verwandelte und ihre Trauer in Glück. Sie sollten sie als Festtage mit Essen und Trinken begehen und sich gegenseitig beschenken, und auch den Armen sollten sie Geschenke geben.«
    Gracia, die mit Reyna in der ersten Reihe saß, fiel immer wieder in den lärmenden Jubel ein. Da zu Purim mit Esther eine Frau gefeiert wurde, die das Morden an den Juden verhindert hatte, waren an diesem Tag auch Mütter und ihre Töchter vor dem Thoraschrein zugelassen. Lachend tauschte Gracia einen Blick mit ihrem alten Freund Amatus Lusitanus, der mit seinem flammenden Feuermal auf der Stirn zu ihrer Rechten saß. Noch nie hatte sie dieses Fest so genossen wie heute. Wie groß die Not auch war - Gott ließ seine Kinder nicht im Stich. Unter seiner Führung war sie mit Reyna in Konstantinopel angekommen -Gott hatte sie zu verdanken, dass sie diesen Festtag nun so ausgelassen feiern konnte, zusammen mit ihren Angehörigen und Glaubensbrüdern, frei von aller Sorge und Angst. »Gelobt seiest du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns hat Leben und Erhaltung gegeben und uns hat diese Zeit erreichen lassen.«
    Während die Gemeinde mit lautem »Amen« den Segensspruch bekräftigte, sah Gracia sich um. Unter den Menschen, die in dem kleinen Gotteshaus versammelt waren, kannte sie manche Gesichter schon seit vielen, vielen Jahren. Da war Paco, ihr Hausdiener aus Lissabon, der beim Erdbeben geholfen hatte, die Fensterscheiben einzuschlagen, damit sie ins Freie gelangen konnten. Alt und hager war er geworden, doch er strahlte über das ganze Gesicht, als er Gracias Lächeln erwiderte ... Und Rebecca Gonzales, die dicke, freche

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