Die Gottessucherin
Bar-Mitzwa erinnern, wie Ihr in den Bund aufgenommen wurdet ...«
»Meine Bar-Mitzwa wurde zu Unrecht gefeiert«, fiel José ihm ins Wort. »Meine Eltern haben versäumt, mich beschneiden zu lassen - wahrscheinlich um mich zu schützen. Deshalb behauptet Dona Gracia jetzt, ich wäre kein richtiger Jude, und weigert sich, mir ihre Tochter in die Ehe zu geben. Hat sie das Recht dazu ?« Der Rabbiner strich sich über den Bart. »Das ist eine schwierige Frage«, sagte er schließlich. »Die Beschneidung ist ein Zeichen des Bundes zwischen dem Volk Israel und dem Herrn. So steht es geschrieben: Das ist mein Bund zwischen mir und euch samt euren Nachkommen, den ihr halten sollt. Alles, was männlich ist unter euch, muss beschnitten werden.«
José wurde blass. »Dann ... dann dürft Ihr mich also wirklich nicht trauen?« Noch während er sprach, packte ihn plötzlich die Wut. »Verdammt noch mal, ich bin bis nach Ungarn gereist, um Reyna heiraten zu dürfen! Dona Gracia hat es mir versprochen! Ich habe mein Leben riskiert! Vielleicht habe ich mir sogar den Sohn des Sultans zum Feind gemacht! Und wozu? Nur damit sie jetzt ihr Wort bricht? Sagt, Rabbiner, ist das gerecht?« »Bitte beruhigt Euch«, erwiderte Soncino und schenkte ihm einen Becher Wein ein. »Manche der Weisen meinen, dass in dieser Zeit der Heimsuchung die Entbindung von den Gelübden, um die wir Haschern zu Jörn Kippur bitten, auch für die Beschneidung gilt. So haben sicher auch Eure Eltern gedacht, als sie sich entschieden, gegen das Gesetz zu verstoßen.« »Meine Eltern - vielleicht! Aber Dona Gracia bestimmt nicht!« José stürzte den Wein in einem Zug herunter. »Was ratet Ihr mir, Rabbi? Was soll ich tun?«
Soncino wiegte nachdenklich den Kopf. »Warum holt Ihr die Beschneidung nicht nach? Auch Abraham ließ sich beschneiden, als er ein erwachsener Mann war, und sein Sohn Ismael zählte immerhin schon dreizehn Jahre. Wir brauchen nur ein Minjan einzuberufen, zehn Männer unserer Gemeinde und einen tüchtigen Mohel, der geschickt mit dem Steinmesser umzugehen versteht.« José verzog das Gesicht. »Ist das die einzige Möglichkeit?«, fragte er. »Ich meine, ich habe nie begriffen, warum ein so winziges Stück Haut so wichtig sein soll!«
»Das kann niemand begreifen«, antwortete der Rabbiner. »Die heiligen Schriften geben ja keinen Grund für die Beschneidung an, sie befehlen sie nur: Beschneidet euch für den Herrn und entfernt die Vorhaut eures Herzens. Aber sagt, habt Ihr etwa Angst vor den Schmerzen? Wenn es das ist, kann ich Euch beruhigen. Man wird Euch Wein zu trinken geben.«
José spürte, wie er rot anlief. »Die Schmerzen machen mir keine Angst, aber ...« »Aber was?«
»Zehn Zeugen!«, schnaubte er. »Sie alle schauen zu! Und am Ende saugt der Mohel das Blut ab - mit dem Mund!« Bei der Vorstellung musste José sich schütteln. »Wenn Gott will, dass wir beschnitten sind, warum hat er uns dann nicht gleich so erschaffen?«
»Dafür nennen die Weisen einen einfachen Grund«, erwiderte Soncino. »Der Herr will, dass wir uns als Juden zu erkennen geben, aus freien Stücken und eigenem Antrieb. Dieses Bekenntnis sollen wir an unserem Leib tragen, als sichtbares Zeichen seines Bundes.«
»Ihr habt gut reden, Rabbiner.« José nahm die Flasche Wein vom Tisch, um sich selbst nachzuschenken. »Für Euch ist jedes Wort der Thora Gesetz. Aber, um ehrlich zu sein - ich glaube weniger an Gott als an das Volk Israel. Von Gott weiß ich nur, dass die Juden sich in seinem Namen immer wieder vereinen, egal, was man ihnen antut. Das ist der einzige Grund, weshalb ich an ihn glaube.«
José hatte erwartet, dass der Rabbiner ihn tadeln würde, doch Soncino schüttelte nur nachsichtig lächelnd den Kopf. »Ihr braucht Euch Eurer Zweifel nicht zu schämen, Dom José. Ein begründeter Zweifel ist nicht der schlechteste Weg, sich an Gott zu wenden. Ja, manchmal erwartet Gott sogar von uns, dass wir mit ihm hadern. Selbst Abraham, der Gründer des ewigen Israel, hat mit ihm um die Erhaltung Sodoms gestritten. Aber wer weiß«, fügte er hinzu, »vielleicht hat in Eurem Fall die Beschneidung noch einen weiteren Sinn. Nicht nur als Bekenntnis zu Gott und dem Volk Israel, sondern ...« »Sondern was?«
»Sondern auch als Bekenntnis zu Eurer Braut.« Der Rabbiner zwinkerte José aufmunternd zu. »Würde Euch dieser Gedanke vielleicht helfen, eine Entscheidung zu treffen?«
José schaute eine Weile in seinen Becher, bevor er eine Antwort gab. »Wie
Weitere Kostenlose Bücher