Die Gottessucherin
seit vielen Jahrhunderten. Aber sagt, wovon sollen Eure Glaubensbrüder dort leben?«
»Wir Juden sind darin geübt, ödes Land in blühende Gärten zu verwandeln. Wir würden in Tiberias Seidenraupen und Bienen züchten.«
»Und was ist mit den Steuern?«
»Sie würden von den Vertretern unserer Gemeinschaft erhoben. Doch vergesst nicht«, fügte sie hinzu, als Süleyman die Stirn runzelte, »alle erwirtschafteten Gelder würden zu dem Zweck verwendet, eine Stadt wiederaufzubauen, die über viele Jahre verfallen ist. Kosten und Risiko liegen allein auf Seiten der jüdischen Siedler. Und die Firma Mendes haftet dafür, dass Ihr jährlich Eure Pacht von tausend Dukaten erhaltet, ohne jede Gegenleistung.«
Der Sultan zwirbelte schmunzelnd seinen Bart. »Es wundert uns nicht, dass die Juden Euch wie eine Königin verehren«, sagte er. »Einverstanden! Der Wesir wird einen Vertrag aufsetzen.« Gracia konnte es kaum glauben. Bis jetzt war alles gut gegangen - viel besser, als sie zu hoffen gewagt hatte. Doch die schwierigste und entscheidende Klippe stand noch bevor, und es hatte keinen Sinn, länger zu warten. Also nahm sie ihren Mut zusammen und sagte: »Eure Zustimmung zu meinem Vorschlag erfüllt mich mit solchem Glück, dass ich bereit bin, den jährlichen Pachtzins zu verdoppeln.«
»Freiwillig?« Überrascht hob Süleyman die Brauen. »Ihr seid eine zu kluge Frau, als dass Ihr an ein solches Angebot keine besondere Bitte knüpfen würdet.«
»Ihr schaut in meine Seele, und ich schäme mich«, erwiderte Gracia. »Ja, ewige Majestät, ich habe tatsächlich eine Bitte. Und sie liegt mir genauso dringlich am Herzen wie das Schicksal meiner Glaubensbrüder.« Sie legte ihre Hände vor der Brust übereinander - eine Geste der Demut, die sie den Orientalen abgeschaut hatte - und senkte den Kopf. »Bitte, ewige Majestät, entbindet mich von dem Versprechen, meine Tochter Reyna dem Sohn Eures Großwesirs zur Frau zu geben.«
Endlich war es heraus! Gracia hielt den Atem an. Während sie voller Angst in ihrer Demutshaltung verharrte, konnte sie nur mit Mühe das Zittern ihrer Hände verbergen und presste sie fest auf ihre Brust. Doch als sie den Kopf wieder hob, lächelte der Sultan sie an.
»Der Brauch der Juden, sich von ihren Gelübden durch das Gebet zu entbinden, ist uns bekannt«, sagte er. »Ein schöner Brauch, um den wir Euer Volk aufrichtig beneiden. Nur leider gilt er nicht bei uns, Allah ist weniger gütig als Euer Gott.« Plötzlich verfinsterte sich Süleymans Miene. »Das Eheversprechen zwischen Eurer Tochter und dem Sohn unseres Wesirs wurde geschlossen, um die Verbindung des Hauses Mendes mit dem Osmanischen Reich zu festigen. Das war die Bedingung, unter der wir unseren Gesandten zu Eurem Schutz und zu Eurer Rettung vor der Inquisition nach Venedig schickten.« »Ich weiß«, sagte Gracia schnell, »ich verdanke Euch mein Leben, und ich werde Eure Großmut bis zu meinem Tod preisen.« In ihrer Not wandte sie sich an Roxelane. »Meine Tochter und Dom José lieben sich! Sie sind durch halb Europa geflohen, um zusammen sein zu können! Andere Menschen sind für ihre Liebe gestorben!«
»Ich habe davon gehört«, erwiderte die Favoritin. »Und ich gestehe, die Berichte haben mich berührt ...« »Trotzdem können wir Euer Ansinnen nicht dulden«, fiel Süleyman ihr ins Wort. »Es wäre der zweite Verrat, den wir Euch durchgehen ließen.«
»Der zweite Verrat?«, fragte Gracia. »Verzeiht meine Begriffsstutzigkeit, ewige Majestät, aber ich verstehe nicht, was Ihr meint.«
»Unser Sohn Selim hat Euren Neffen mit seiner Freundschaft geehrt«, antwortete Roxelane anstelle des Sultans. »Der Prinz hat ihm vertraut wie noch keinem anderen Mann. Aber Yusuf Bey hat ihn im Stich gelassen. Gegen Selims Bitte und Befehl hat er sich in Ungarn aus dem Heerlager entfernt.« »Das Verhalten meines Neffen war unverzeihlich«, erwiderte Gracia. »Aber war es wirklich Verrat? Oder war es nicht vielmehr der Beweis einer Liebe, die nicht mal den Tod fürchtet?« Obwohl es verboten war, dem Sultan direkt in die Augen zu sehen, richtete sie den Blick auf Süleyman. »Ich bin bereit, ewige Majestät, mein Angebot nochmals zu erhöhen und den Zins zu verdreifachen. Dreitausend Golddukaten für Tiberias, Jahr für Jahr.«
»Und wenn Ihr den Zins verzehnfacht«, entgegnete Süleyman. »Nein! Niemand darf einen Vertrag mit dem Herrscher des Osmanischen Reiches ungestraft brechen. Entweder haltet Ihr Euer Wort und Ihr bekommt
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