Die Gottessucherin
Tiberias, oder Ihr erlaubt Eurer Tochter, Yusuf Bey zu heiraten. In dem Fall kommt es zu keinem Geschäft. Außerdem müssten wir uns dann überlegen, ob wir länger bereit sind, Euch und Eurem Volk Gastrecht zu gewähren.« Gracia verstummte. Tiberias oder die Liebe ihrer Tochter - eine dritte Möglichkeit gab es nicht. Was sollte sie tun? Bei der Vorstellung, Reyna die Ehe mit José zu verbieten und sie einem fremden Mann zur Frau zu geben, krampfte sich ihr Herz zusammen. Sie wusste, welche Verwüstungen die Liebe in der Seele einer Frau anrichten kann - niemals würde Reyna diesen Schmerz verwinden ... Doch durfte sie dafür Tiberias opfern? Tiberias war ihre Mission. Gott selbst hatte sie beauftragt, den Juden ein eigenes Land zu geben, Rabbi Soncino hatte ihr die Zeichen gedeutet. Jetzt war ihr Traum zum Greifen nahe - ein Wort genügte, und er würde Wirklichkeit.
»Ich sehe, wie schwer Euch die Entscheidung fällt«, sagte Roxelane. »Aber vielleicht kann ich Euch helfen.« Noch bevor Gracia begriff, was die Favoritin meinte, klatschte die schon in die Hände. Eine Tür ging auf, und ein Eunuch kam herein mit einem kleinen Mädchen an der Hand, das gekleidet war wie eine Prinzessin, mit Pluderhosen, Seidenweste und sogar einem Schleier, obwohl sie kaum älter als zwei Jahre sein konnte. »Das ist Ban Nur«, erklärte Roxelane, »die Tochter Eures Neffen. Yusuf Bey hat sie mit einer armenischen Tänzerin gezeugt, die Prinz Selim ihm zum Geschenk gemacht hat, als Ausdruck seiner Freundschaft.«
7
Ancona war ein blühender Handelsplatz an der Küste des Adriatischen Meeres, der größte Seehafen Italiens nach Venedig. Die engen, dichtbebauten Wohnviertel der antiken Stadt stiegen wie ein Amphitheater am Hang des Monte Conero empor, während die Landzunge wie ein Ellbogen die Mole umschloss. Obwohl seit zwei Jahrzehnten zum vatikanischen Kirchenstaat gehörig, war es den Dominikanern - anders als in Venedig - bislang nicht gelungen, das Glaubensgericht in Ancona durchzusetzen. Zwangsgetaufte Marranen durften hier ebenso Handel treiben wie Juden, um durch ihre Geschäfte den Wohlstand des Heiligen Vaters in Rom zu mehren. 1553, im selben Jahr also, in dem Gracia Mendes den Sitz ihres Handelshauses nach Konstantinopel verlagerte, hatte der neue Papst Julius III. einer Schar von hundert Conversos, die vor der spanischen Inquisition geflohen waren, Zuflucht in der Seestadt gewährt und wenig später, gegen Zahlung von tausend Golddukaten jährlich, das Zuzugsrecht auf alle Juden erweitert, die sich in Ancona ansiedeln wollten. Unter seiner Regierung konnten sie unbehelligt ihre Religion ausüben und eine Synagoge bauen. Ja, in Gestalt seines militärischen Befehlshabers vor Ort hatte Papst Julius sogar einen Kommissar eingesetzt, der streng und unbestechlich darüber wachte, dass die Schutzrechte, die er den Marranen eingeräumt hatte, von niemandem verletzt wurden.
Dies war der Stand der Dinge, als Cornelius Scheppering im Sommer des Jahres 1555 in Ancona eintraf. Der Dominikaner wusste, dass er in den Vorhof der Hölle reiste, doch die Verhältnisse, die er in der Hafenstadt tatsächlich vorfand, übertrafen seine schlimmsten Befürchtungen. An der Mole, wo zu Füßen eines heidnischen Triumphbogens mit Baumwolle und Pfeffer, Getreide und Zucker, Olivenöl und Papierballen gehandelt wurde, lag ein halbes Dutzend Schiffe der Firma Mendes vertäut, und auch an den Masten der meisten übrigen Segler flatterte frech der Davidstern im Wind. Der Anblick schmerzte Cornelius Scheppering noch mehr als das grelle Sonnenlicht, das er nur ertragen konnte, indem er seine überempfindlichen Augen mit der Hand beschattete. Zu solcher Dreistigkeit hatte sich nicht mal Diogo Mendes in Antwerpen erkühnt. Doch damit würde bald Schluss sein! Cornelius Scheppering war gekommen, um den Saustall auszumisten. Vor wenigen Wochen hatte der himmlische Vater den glaubensschwachen Julius nach nur kurzer Zeit im Amt vom Papstthron abberufen und an dessen Stelle einen wahren und wirklichen Glaubensknecht zum Nachfolger Petri erhoben. Am 23. Mai hatte das Konklave der Kardinäle, inspiriert vom Heiligen Geist, Gian Pietro Carafa zu Gottes Stellvertreter auf Erden gewählt, im gesegneten Alter von neunundsiebzig Jahren. Der neue Pontifex, Papst Paul IV, hatte so gründlich mit der Laxheit seiner Vorgänger gebrochen, dass Cornelius Scheppering das Herz im Leibe lachte. Statt mit den Juden um des schnöden Mammons willen Geschäfte zu
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