Die Gottessucherin
und zwei Nachtwächter mit einer Laterne kreuzten ihren Weg. Bei ihrer Ankunft eilte der Mönch in die Nähe der Nachtwächter, offenbar ängstigte ihn der Anblick so vieler Fremder, von denen einige mit ihren Schläfenlocken als Juden erkennbar waren. José bereute, dass er den Mund überhaupt aufgemacht hatte. Auch an der Anlegestelle war keine Menschenseele. »Klugscheißer!«, sagte Tristan verächtlich. Dann riss er sein Pferd herum. »Nach Beiern!«
José wollte seinem Wallach gerade die Sporen geben, da fiel sein Blick noch einmal auf den Dominikaner. Im Schein der Laterne erkannte er unter der Kapuze ein bärtiges Gesicht. Er trieb sein Pferd dicht an Tristans Stute heran. »Das ist er«, sagte er leise. »Wer?«
»Der Mönch! Er ist der Mann, den wir suchen. Enrique Nunes!« Tristan schaute ihm fest in die Augen. »Bist du sicher?« »Ganz sicher!«
Tristan zögerte. José wusste, sie konnten es nicht wagen, als Juden Hand an einen Dominikaner zu legen - in Gegenwart der Nachtwächter war der Spion geschützt.
»Flussaufwärts!«, befahl Tristan seinen Männern. Gemeinsam galoppierten sie los. Doch kaum hatten sie den Platz verlassen, da parierte Tristan sein Pferd schon wieder durch und gab José ein Zeichen, dasselbe zu tun. Während die anderen weiter in Richtung Beiern ritten, glitten die beiden lautlos aus dem Sattel und banden ihre Tiere am Balken einer Tränke fest. Dann huschten sie in den Schatten einer Kirche und beobachteten von dort aus den Fischmarkt und das Ufer. Silbrig schimmerten die Fluten des Tejo im Mondlicht. »Da!«
Aufgeregt zeigte José auf das Wasser. Während die Nachtwächter in einer Gasse verschwanden, legte ein Boot am Flussufer an. Gleich darauf änderte der Mönch seine Richtung. »Du von rechts, ich von links«, flüsterte Tristan. »Aber leise!« Um zu der Anlegestelle zu gelangen, musste der Dominikaner die Vorderseite der Kirche passieren. Auf Tristans Zeichen trennten sie sich, um von beiden Seiten das Gebäude zu umkreisen. Als José die Gegenseite erreichte, stieg ihm ein höllischer Gestank in die Nase. Ganz in der Nähe musste eine Jauchegrube sein.
»Hierher! Ich hab ihn!« José hörte ein kurzes Rascheln, dann sah er, wie Tristan den falschen Dominikaner in der Dunkelheit hinter eine Mauer zog. An der Kehle des Verräters blinkte ein Messer. »Los, komm her«, zischte Tristan. »Durchsuch ihn.« José klopfte das Herz bis zum Hals. »Nach Waffen?« Brechreiz würgte in seiner Kehle. Die Jauche stank jetzt so stark, dass es kaum auszuhalten war. Sie mussten direkt über der Kloake sein.
»Nein, sein Messer hab ich schon! Such nach Papieren! Unter dem Wams!«
Als José die Kutte berührte, begann Nunes um sich zu schlagen. Tristan presste ihm die Hand auf den Mund. Aber für eine Sekunde gelang es dem falschen Mönch, sich aus dem Griff zu befreien.
»Hilfe ... Hilfe!« »Halt's Maul - oder ...«
Zu spät! In der Dunkelheit näherten sich eilig Schritte. Das mussten die Nachtwächter sein.
»Sie kommen zurück!«, flüsterte José. »Was sollen wir tun?« Statt einer Antwort blitzte die Klinge von Tristans Messer auf. Ein unterdrückter Seufzer, ein Zappeln von Armen und Beinen - dann ein Aufschlag in der Jauchegrube. »Ruhe in Frieden, du Schwein!«, zischte Tristan da Costa. José würgte den Brechreiz hinunter. Enrique Nunes war für immer begraben.
11
Noch graute kaum der Tag, da wachte Gracia nach ihrer Hochzeitsnacht auf, aus ruhelosem Schlaf und peinigenden Träumen. Was hatte sie getan?
Neben ihr schlief ihr Mann, mit einem seligen Lächeln auf den Lippen, und ein wohliger Schauer durchrieselte ihren Leib. Doch als sie auf das Laken ihres Bettes sah, traf sie die ganze Wucht der Erkenntnis. Sie hatte eine Blutsünde begangen, die schwerste Sünde, die eine Jüdin begehen konnte. Damit hatte sie Gott herausgefordert, Gott, den Herrn und König.
Bevor Francisco erwachte, verließ Gracia die Kammer, um sich zu waschen. Wieder und wieder kreisten dieselben Gedanken durch ihren Kopf. Sie hatte die heiligsten Gebote ihres Glaubens verletzt. Sie hatte den Rabbiner belogen und in der Mikwa das Tauchbad genommen, bevor die zweimal sieben vorgeschriebenen Tage verstrichen waren. Sie war unter die Chuppa getreten, ohne dazu berechtigt zu sein. Vor allem aber hatte sie ihrem Mann beigewohnt, obwohl sie eine Nidda war. Für dieses Vergehen hatte in früheren Zeiten die Strafe der Ausrottung gedroht,
und noch immer konnte ein Glaubensgericht die
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