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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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zu hauen, fuchtelte erregt mit den Händen und packte einander am Kragen. Bald herrschte in der Synagoge ein Lärm wie auf einem Wochenmarkt. Auf dem Höhepunkt des Tumults ergriff Gracia wieder das Wort. »Wollt ihr unseren Feinden helfen oder dem Volk Israel?«, fragte sie in den Lärm hinein. Und obwohl sie ihre Stimme kaum erhoben hatte, flogen alle Köpfe zu ihr herum. »Wenn wir uns untereinander streiten, helfen wir nur den Edomitern! Statt uns zu streiten, müssen wir unseren Feinden geschlossen entgegentreten !«
    »Was schlagt Ihr vor, Senhora? Sagt uns Eure Meinung!« »Tun wir, was der Herzog von Pesaro verlangt!«, erwiderte sie. »Wir können den Krieg nur gewinnen, wenn wir uns einig sind! Alle Söhne und Töchter des Volkes Israel müssen sich füreinander verbürgen! Keiner darf ausscheren! Doch glaubt mir: Wenn wir zusammenhalten und den Hafen von Ancona ächten, mit der ganzen Macht unserer Handelshäuser, gemeinsam und ohne Ausnahme, muss der Papst nachgeben und die Schutzrechte erneuern, die sein Vorgänger uns gegeben hat.« Gracia ließ ihren Blick über die Köpfe ihrer Zuhörer schweifen und hielt einen Moment inne, ehe sie rief: »Rache für das vergossene Blut unserer Brüder und Schwestern! Wer dafür ist, hebe die Hand!« Zehn, zwanzig, dreißig Hände gingen in die Höhe. Die meisten Befürworter waren aus Konstantinopel. Die Mitglieder der anderen Gemeinden hingegen zögerten noch und schauten sich unschlüssig um. Vor allem die Vertreter aus Saloniki und Edirne machten keinen Hehl aus ihrem Widerwillen gegen Gracias Plan. Amatus Lusitanus blickte in banger Erwartung zu Rabbi Soncino, der sich während des ganzen Streits kein einziges Mal zu Wort gemeldet hatte. Alles kam jetzt auf ihn an. Er war unter all den Schriftgelehrten und Würdenträgern, die in dem Gotteshaus versammelt waren, der angesehenste Mann, seine Stimme zählte mehr als jede andere. Wie würde er entscheiden? »Rache für das vergossene Blut unserer Brüder und Schwestern!«, rief Rabbi Soncino und hob seine Hand. Es war, als hätte er ein Zauberwort gesprochen, und seine Stimme war noch nicht verhallt, da flogen Dutzende von Händen in die Höhe. Gleich darauf war die Synagoge ein Wald erhobener Arme. Amatus Lusitanus atmete auf. Gracia hatte es geschafft, sie hatte die Versammlung überzeugt. Er bedauerte nur, dass José nicht da war, um den Triumph zu erleben. Schließlich stammte der Plan ja von ihm.
    »La Senhora!«, skandierten die Juden im Chor. »La Senhora!« Um ihren Beifall zu bestärken, stampften einige mit den Füßen, und bald erbebte die Synagoge vom donnernden Rufen und Lärmen der Gemeinde wie beim Purim-Fest. Amatus Lusitanus lief ein Schauer über den Rücken. War Gracia Mendes wirklich eine zweite Esther? Die neue Königin des Volkes Israel? Ausersehen von Gott dem Herrn, die Juden ins Gelobte Land zu führen?
     

15
     
    »Was wollt Ihr in Ancona?«, fragte der Soldat, der das Stadttor bewachte.
    José zögert einen Augenblick. Sollte er sich zu erkennen geben? Nein, das war zu gefährlich, nach allem, was ihm in Pesaro zu Ohren gekommen war.
    »Ich bin Arzt«, behauptete er vorsichtshalber. »Man hat mich zu einem Kranken gerufen.«
    »Das kann jeder behaupten. Euren Pass!«
    Widerwillig fasste José in seine Tasche. »Kannst du überhaupt lesen?«, fragte er und reichte dem Wachtposten seine Papiere. Ohne sich einschüchtern zu lassen, blätterte der Soldat in den Dokumenten. »José Nasi - aha! Christ oder Jude?« »Heilige Muttergottes, was soll die dämliche Frage?«, erwiderte José. »Christ natürlich!«
    »Na schön, wartet hier. Aber rührt Euch nicht vom Fleck!« Während José zusah, wie der Soldat mit dem Pass im Schilderhäuschen verschwand, gurrte die Brieftaube in ihrem Käfig, den er hinter dem Sattel befestigt hatte, zusammen mit dem Mantelsack. Vielleicht würde er das dumme Vieh doch noch brauchen? Kein Mensch wusste, wo er sich aufhielt, weder Reyna noch Gracia. Als er nach Pesaro aufgebrochen war, um Herzog Guidobaldo um Asyl für die Juden von Ancona zu bitten, hatte er nicht im Traum daran gedacht, in die verfluchte Hafenstadt weiterzureiten, wo kein Jude seines Lebens sicher war. Er hatte Reyna sogar ausdrücklich versprochen, nicht dorthin zu fahren. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt. Herzog Guidobaldo hatte sein Angebot, den kleinen Hafen von Pesaro zu erweitern, damit auch große Schiffe wie die Gloria oder Esmeralda dort ankern könnten, an eine Bedingung

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