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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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griff er zur Feder. Für die Nachricht an Reyna brauchte er nur wenige Zeilen. Aber sie waren ihm wichtiger als sein eigenes Leben.
     
    Mein geliebter Engel, bitte warte auf mich, ich flehe Dich an! Ich werde Dir alles erklären ... Nur tu nichts, bevor ich wieder bei Dir bin ... Denk an unsere Kinder, denk an unser Haus ... Ich liebe Dich, mit jeder Faser meines Herzens ...
    José
     
    Erst als er Sand auf die Tinte streute, merkte er, dass der Bader immer noch in der Kammer stand.
    »Was meinst du?«, fragte er. »Wie weit kann ich es im Sattel schaffen?«
    Der Bader musterte ihn mit emporgezogenen Brauen. »Mit oder ohne Branntwein?«
    »Mit!«
    »Dann bis ans Ende der Welt.«
     

13
     
    Reyna raffte ihre Röcke und kletterte durch die Luke auf den Dachboden. Ein leises Gurren empfing sie in dem staubig stickigen Halbdunkel. Gab es endlich eine Nachricht von José? Doch als sie den Schlag öffnete, den er in der Gaube eingerichtet hatte, flatterte ihr wieder nur der Täuberich entgegen, der mit einer Seidenschnur an dem Gebälk festgebunden war, damit er nicht durch die offene Klappe fortfliegen könnte. José hatte vor seiner Abreise extra ein Taubenpaar gekauft. Weil eine Taube, auf die zu Hause ein Täuberich wartete, angeblich viel schneller den Weg zurück zu ihrem Heimatschlag fände als ein einzelner Vogel. »Du kannst ja nichts dafür«, sagte Reyna und streute dem Tier ein paar Körner hin. »Du bist ja genauso verzweifelt wie ich.« Schon fünf Wochen waren vergangen, seit sie José ihren Brief geschickt hatte. Tag für Tag schaute sie in dem Taubenschlag nach, morgens, mittags und abends, und manchmal sogar in der Nacht - doch jedes Mal gurrte sie nur der einsame Täuberich an. Wie konnte das sein? Selbst die Taube, die der Stammesvater Noah bei der Sintflut übers Meer geschickt hatte, war irgendwann zur Arche zurückgekehrt ... Nein, wenn keine Antwort von José kam, konnte das nur eines bedeuten: Er hatte sie tatsächlich verraten, sie und ihre Liebe.
    Bei dem Gedanken kamen Reyna die Tränen. Manchmal nachts, wenn sie schlaflos in ihrem Bett lag, sah sie José vor sich, wie er eine fremde Frau in seinen Armen hielt, eine halbnackte Tänzerin, die sich lachend mit ihrem Schlangenleib in seiner Umarmung wand und ihm gleichzeitig die roten Lippen zum Kuss hinstreckte. Die Vorstellung zerriss ihr das Herz, und um nicht verrückt zu werden, beschimpfte sie ihn im Geiste, verfluchte seinen Verrat, und wenn die Wut sie packte und sie damit den Schmerz für einen Augenblick überwand, war sie fast bereit, dem Drängen ihrer Mutter nachzugeben und den Sohn des Großwesirs zu heiraten.
    Doch dann fiel ihr die erste Nacht wieder ein, die sie mit José verbracht hatte, vor dem Feuer eines Kamins, in einer kleinen, einsamen Herberge in Flandern, und sie hatte nur noch Angst -Angst um ihren Geliebten. Vielleicht war ja alles ganz anders. Vielleicht war José auf der Reise etwas zugestoßen. Vielleicht hatte der Papst ihn einsperren lassen. Vielleicht saß er schon irgendwo in einem römischen Verlies. Vielleicht war er überhaupt nicht mehr am Leben - ihre Mutter hatte ja auch noch keine Nachricht von ihm ... Sie sah seine Augen, wie er sie beim Abschied in dem Zypressenhain angeschaut hatte, hoch über dem Bosporus, hörte seine Stimme. »Denk an unsere Kinder, denk an unser Haus ...« Durch die Gaube konnte Reyna den grünen Holzpalast sehen, den er ihr gezeigt hatte. Nur einen Steinwurf vom Galata-Turm entfernt, glänzte die goldene Kuppel in der Abendsonne. Der Anblick brannte in ihrem Herzen wie Salz in einer Wunde. Würde sie dieses Haus je betreten? »Das Essen ist aufgetragen!« Von unten rief die Köchin nach ihr. Reyna wischte sich die Tränen ab. Dann zwängte sie sich zurück durch die Luke und verließ den Dachboden. Ihre Mutter saß bereits am Tisch, in der Hand hielt sie einen Brief. »José hat geschrieben«, sagte sie.
    »Jose?« Reyna musste sich am Türpfosten festhalten, so schwindlig wurde ihr auf einmal. »Gott sei Dank«, flüsterte sie. »Er lebt ...«
    »Der Papst hat die Verhandlungen abgebrochen«, sagte Gracia. »Aber José gibt nicht auf. Er hat eine großartige Idee, wie er die Edomiter mit ihren eigenen Waffen schlagen kann. Er will den Papst erpressen, zusammen mit dem Herzog von Pesaro. Ich muss sofort alle Gemeindeältesten zusammenrufen, auch aus Edirne und Bursa und Saloniki. Das können wir nur zusammen entscheiden.«
    Reyna hörte gar nicht hin. José hat geschrieben ...

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