Die Gottessucherin
Schmerz, aber sein Aufschrei ertrank in Reynas Glucksen und Lachen. »Ich hab dich durchs Fenster gesehen!«, rief sie, während sie sein Gesicht mit unzähligen kleinen Küssen übersäte. »Als Allereinzigste!«
»Du bist ja schon wieder gewachsen«, sagte Francisco. Obwohl sein Körper sogar unter ihrem Puppengewicht schmerzte wie unter der Folter, behielt er Reyna auf dem Arm. Es war einfach zu schön. »Und neue Sommersprossen hast du auch, bestimmt tausend Stück.«
»Viel, viel mehr! Mindestens dreihundert!« »Das ist ja nicht zu fassen! Aber sag mal, wo ist denn deine Mutter? Hast du die versteckt?«
Noch während er sprach, kam Gracia aus der Küche. Nein, auch sie hatte nicht mit ihm gerechnet. Als wäre er ein Gespenst, blieb sie auf der Schwelle stehen und hielt sich am Türpfosten fest. »Francisco - bist du es wirklich?«
»Ist die Überraschung gelungen?«, fragte er. »Komm, komm ganz schnell her, ich will euch beide bei mir haben.« Zusammen mit Reyna nahm er sie in den Arm. »Ich kann euch gar nicht sagen, wie glücklich ich bin.«
»Und ich erst«, flüsterte Gracia und schmiegte sich an ihn, so behutsam und zart, als spüre sie die Schmerzen, die sein geschundener Leib ihm bereitete.
Er schloss die Augen, um den Moment zu genießen, konnte kaum glauben, dass er wirklich wieder zu Hause war. »Sag, Vater, wo ist denn dein Finger?«, fragte Reyna und zeigte auf den Stumpf an seiner rechten Hand.
»Der ... der ist mir abgefallen«, log er.
»Aber das muss doch furchtbar weh getan haben!«, rief Reyna erschrocken.
»Ach was! Überhaupt nicht. Bestimmt wächst er wieder nach.« »Glaubst du?« »Ganz bestimmt.«
Schon war der Schreck aus Reynas Gesichtchen wieder verschwunden. »Guck mal, was ich kann!« Sie zog einen Rosenkranz aus dem Ärmel ihrer Bluse und begann zu beten: »Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist ...« »Wer hat dir das denn beigebracht? Deine Mutter?« »Nein, ich mir selbst. Ich bin ganz allein in die Kirche gegangen, um das liebe Jesuskind zu besuchen. Und da war Padre Alfonso, und der hat mir gezeigt, wie es geht. Willst du wissen, was man bei der nächsten Perle betet?« Noch bevor Francisco antworten konnte, schnurrte sie los: »Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name ...«
Ihre Begeisterung für den Rosenkranz schmerzte Francisco fast noch mehr als sein Körper, aber er ließ sich nichts anmerken. »Was bist du für ein kluges Mädchen!«, sagte er nur und stellte sie auf den Boden. »Jetzt möchte ich kurz mit deiner Mutter sprechen. Darf ich?«
»Nein, bitte nicht! Wir sind ja noch nicht mal beim ersten Gesetz.«
»Trotzdem, ich muss sie etwas fragen. Etwas sehr, sehr Wichtiges. Etwas, was Kinder nicht hören dürfen.« »Na gut«, sagte Reyna. »Aber danach musst du den ganzen Rosenkranz mit mir beten. Versprochen?« »Versprochen!«
Während sie in der Küche verschwand, ging Francisco mit Gracia hinauf zu seinem Kontor.
»Wie siehst du nur aus?«, sagte sie, als sie allein waren. »Was haben sie mit dir gemacht?«
»Das ist jetzt nicht wichtig«, erwiderte er und schloss die Tür.
»Sag mir nur eins: Hast du Nachricht von Tristan da Costa? Ist er in Sicherheit?«
»Ja. Brianda hat einen Brief von ihm bekommen, aus Lyon. Es geht ihm gut.«
»Dem Himmel sei Dank! Dann habe ich ihn also nicht getötet. Gelobt sei Gott der Herr!« »Du? Ihn getötet? Wie kommst du darauf?« »Ich ...« Francisco musste schlucken, bevor er weitersprechen konnte. »Ich ... ich hab ihnen seinen Namen verraten. Das war der Preis für meine Freilassung: Sein Name und die zweihunderttausend Dukaten, die ich dem König geliehen habe. Sie hatten mir den Finger abgehackt und gedroht, mir jeden Tag noch einen abzuhacken. Da ... da habe ich es nicht mehr ausgehalten ...«Er schlug die Hände vors Gesicht.
»Deshalb
haben sie dich freigelassen?«, fragte Gracia, blass im Gesicht. »Ich dachte ...«
»Was dachtest du? Haben sie dir etwas anderes gesagt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Mein armer Liebling«, sagte sie und streifte mit den Lippen seine Wange. »Du ... du hast Schlimmes durchgemacht.«
Die Berührung seiner Frau durchströmte ihn mit neuer Kraft. »Ich habe zum Himmel gebetet, dass Tristan schon geflohen war, ich hatte ihm ja eine Nachricht geschickt, und der Herr hat mein Gebet erhört. Ich ... ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn sie ihn erwischt hätten. Ich hätte mir das nie vergeben.« Er streckte den Arm nach ihr aus.
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