Die Gottessucherin
dass Gracia mit einiger Zuversicht begann, des Nachts, wenn Reyna und die Dienstboten schliefen, die ersten Truhen für die Reise zu füllen. Zum nächsten Pessachfest würden sie vielleicht schon in Konstantinopel sein! Nur eine Frage ließ ihr keine Ruhe, eine Frage, die ihr Glück nicht weniger gefährdete als das drohende Glaubensgericht. Konnte die Flucht gelingen, ohne dass sie Francisco ihre Schuld gestand? Das Unrecht an ihm tilgte, das sie ihm zugefügt hatte? Damit Gott ihr endlich verzieh?
Noch hatte Haschern ihr kein Zeichen geschickt, dass er ihr Opfer angenommen hätte, um sie aus ihrer Schuld zu entlassen: aus der einen großen Schuld ihres Lebens, die schon so viel Unheil auf sie gezogen hatte.
33
Cornelius Scheppering knurrte der Magen. Aber schlimmer als der Hunger seines Leibes war der Hunger seiner Seele. Seit er Gran Pietro Carafa seine Sünden gebeichtet hatte, hielt er das Fasten ein und blieb demütig gesenkten Hauptes in der Kirchenbank zurück, wenn seine Glaubensbrüder an den Tisch des Herrn traten, um den Leib Christi zu empfangen. Drei qualvoll lange Monate hatte sein Innerstes nach der Seelenspeise geschrien wie ein verdurstender Hirsch nach der Quelle. Doch heute neigte sich die Zeit der Leiden ihrem Ende zu. Heute empfing Papst Paul III. Cornelius Scheppering zusammen mit seinem Ordensmeister zur Audienz. Sie wollten Beweise vortragen, die dem verfluchten Judenvolk in Portugal ein für alle Mal die Inquisition bescheren würde. Mit weichen Knien, doch hochgemutem Herzen betrat er an Carafas Seite den Papstpalast. Ein Sieg in der heiligen Sache wäre ein Ablass für seine Sünden, der einer Pilgerfahrt nach Jerusalem gleichkäme.
»Heiliger Vater«, sagte er und beugte sein Knie, um den Fischerring zu küssen.
»Was habt Ihr uns mitgebracht?«
Cornelius Scheppering reichte dem Papst einen aufgeschlagenen Aktendeckel.
»Diese Papiere hat man bei Enrique Nunes gefunden, dem toten Gottesmann, den das Erdreich beim Lissaboner Beben ...« »Wir sind im Bilde. Die wundertätige Mumie aus der Kloake.« Der Papst nahm den Deckel und warf einen mürrischen Blick darauf. »Ein paar Seiten voller Zahlen? Wir hatten uns Besseres erwartet. Diogo Mendes hat fünfzigtausend Dukaten hinterlegt, für den Hochaltar im Petersdom, um uns von der Frömmigkeit der Marranen zu überzeugen.«
»Die Zahlen sind verschlüsselte Botschaften«, erwiderte Carafa. »Gematria - eine jüdische Geheimwissenschaft. Sie enthalten alle Beweise, die Ihr gefordert habt. Wenn Ihr erlaubt, dass Bruder Cornelius sie erläutert?« »Wenn es unbedingt sein muss.«
Der Papst hob die weiß behandschuhte Hand, und Cornelius Scheppering trat vor. Die Wiederherstellung der Beweise war ein heikles Unterfangen gewesen, das nicht nur seine ganze gematrische Kunst erfordert hatte, sondern auch die Überwindung schlimmster Skrupel. War es erlaubt, den Heiligen Vater zu betrügen, auch wenn es im Namen des Herrn geschah? Carafa war seinen Bedenken mit dem Argument begegnet, die Restauration der Papiere sei keine eigentliche Fälschung, sondern nur die Reproduktion der Wahrheit, die der Teufel ihnen entrissen habe. Gott sei Dank hatte Cornelius Scheppering auf seinen Ordensmeister und nicht auf seine Zweifel gehört und auf altem Pergament die Zahlenreihen wiederhergestellt. Der Heilige Vater war von der Beweisführung sichtlich beeindruckt, auch wenn seine Miene noch größeren Widerwillen bekundete als zuvor.
»In der Tat«, knurrte er, »das Judenvolk widersetzt sich dem Willen der Obrigkeit und damit dem Willen Gottes.« Er fuhr mit der Zunge an seinen Schneidezähnen entlang, wie um sie von Speiseresten zu säubern. Cornelius Scheppering frohlockte. War Gott mit ihm? Doch als der Papst erneut die Stimme erhob, war seine Enttäuschung groß. »Sehr ärgerlich, diese jüdische Widerborstigkeit, in der Tat. Aber - was haben
wir
damit zu schaffen?«
Carafa ergriff das Wort. »Es droht ein Exodus der Juden, wie es seit dem Auszug aus Ägypten keinen mehr gegeben hat. Wir müssen die Inquisition in Portugal einsetzen, bevor sich das ganze Volk der göttlichen Gerechtigkeit entzieht.« »Der portugiesische König hat die Ausreise verboten«, sagte der Papst. »Die Unterbindung der Flucht ist Sache der Krone. Außerdem - das Glaubensgericht betrifft ausschließlich und allein die Glieder der heiligen katholischen Kirche. Und können diese portugiesischen Marranen denn überhaupt als wirkliche Christen gelten?«
»Daran
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