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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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ersuchen. Aber niemand wollte ihn empfangen. Stundenlang ließ man ihn warten, zusammen mit Scharen gewöhnlicher Bittsteller, die sich auf den Fluren der Hofkanzlei drängten, und als man ihn endlich aufrief, wurde er nur in ein Vorzimmer gebeten. Ein niederer Hofbeamter fertigte ihn mit einem schriftlichen Bescheid ab. »Ein Erlass des Königs. Sorgt dafür, dass alle Marranen davon Kenntnis nehmen.«
    Noch in der Kutsche las Francisco das Schreiben. Als er damit fertig war, spürte er einen stechenden Schmerz in der Brust: Die Verfügungen des Königs übertrafen seine schlimmsten Befürchtungen. Als habe Dom Jono nur auf eine Gelegenheit gewartet, sich endgültig ins Lager der Judenhasser zu schlagen, hatte er das Gesetz verschärft, das den Juden verbot, das Land zu verlassen, und gleichzeitig Befehl gegeben, alle Wachen an den Grenzen und in den Häfen zu verdoppeln. Selbst zu den Azoren oder in andere Kolonien des portugiesischen Reiches auszuwandern war nun nicht mehr möglich. Zudem untersagte das neue Gesetz den Marranen, ihr Eigentum an Grund und Boden zu veräußern. Jedem Neuchristen, der dieser Anordnung zuwiderhandelte, wie auch jedem Altchristen, der einem Marranen bei der Auswanderung half, drohten Konfiskation seines Vermögens und Körperstrafen. Nicht einmal Wechsel auf Eigentum im Ausland durften gezogen werden, um einen Abfluss jüdischen Geldes zu verhindern. »Du hattest recht«, sagte Francisco, als er zu Gracia zurückkehrte. »Wir können hier nicht länger leben. Machen wir uns an die Arbeit.«
    Jetzt kam es nur noch darauf an, Portugal zu verlassen, bevor die Inquisition ihr Werk beginnen würde.
    In kürzester Zeit verwandelte sich das Land in ein Gefängnis, in dem die Angst vor dem Glaubensgericht wie ein Gespenst umging. Mit furchtgeweiteten Augen flüsterten die Juden einander zu, es sei die Absicht des Königs, sie alle am Tag des nächsten Pessachfestes öffentlich zu verbrennen. Und während an der Grenze zu Spanien bereits die ersten Scheiterhaufen brannten, Vorboten des kommenden Verhängnisses, berieten Francisco und Gracia mit Rabbi Soncino das Ziel ihrer Flucht. Sie wollten nach Konstantinopel, der Hauptstadt des Osmanischen Reichs, wo Sultan Süleyman der Prächtige regierte, der Kriegsgegner des Kaisers. Das war der einzige Ort in der Alten Welt, an dem sie als Juden leben könnten.
    Dabei mussten die Vorbereitungen in großer Heimlichkeit geschehen, verborgen vor den christlichen Nachbarn und Angestellten der Firma, verborgen aber auch vor Reyna, ihrer Tochter, aus Angst, dass sie sich verplappern könnte. Seit die Nachricht von der Einsetzung der Inquisition sich verbreitet hatte, wimmelte es in der Stadt nur so von Spionen. Nachbarn verrieten Nachbarn, Freunde bespitzelten Freunde. Denn wer einen Flüchtling anzeigte, durfte bei der Verhaftung auf Teile von dessen Eigentum hoffen. Schon gab es unter den Christen geheime Treffen, bei denen der Besitz der Marranen vor ihrer Ergreifung schon verteilt wurde, und viele Juden wurden verhaftet, ehe sie das Schiff betraten, das sie außer Landes bringen sollte. Wie aber sollte man eine so große Firma wie das Handelshaus Mendes unbemerkt ins Ausland verlegen? Francisco beschloss, aus der Not eine Tugend zu machen, und beantragte in der Hofkanzlei die Erlaubnis für eine Geschäftsreise nach London. Für eine Summe von tausend Dukaten wurde ihm die Reise bewilligt. Und schon während er heimlich seinen Besitz liquidierte, indem er ganze Lagerhäuser voller Getreide und Stoffballen, Gewürzsäcke und Ölfässer gegen Diamanten verkaufte, damit Gracia und er einen möglichst großen Teil ihres Vermögens am eigenen Leib mit auf die Reise nehmen könnten, suchte er über Tristan da Costa, seinen alten Vertrauten und Handelsagenten in Lyon, Kontakt zum britischen Lordkanzler Thomas Cromwell. Den wollte er um den Schutz der Englischen Krone bitten, sobald er mit seiner Familie auf offener See wäre. Francisco weihte Gracia nicht nur in jeden seiner Schritte ein, sondern vertraute ihr auch die Abwicklung mancher Geschäfte an, um selbst so wenig wie möglich in Erscheinung zu treten. Sie bewunderte, wie geschickt er auf dem ganzen Kontinent seine Fäden spann. Vor allem aber bewunderte sie seine Gelassenheit. Während sie fast verrückt war vor Angst und Ungeduld, verlor er nie seine Sicherheit. Nicht einmal sein kränkelndes Herz, das in der Vergangenheit manches Mal Anlass zur Sorge gegeben hatte, schien ihn zu beeinträchtigen, so

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