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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Hafen, unter dem Turm von Beiern, das Leben weiterging wie an jedem gewöhnlichen Tag. Obwohl es ihr das Herz brach, wandte Gracia sich ab. Es hatte keinen Sinn, zurückzuschauen.
    »Kommt«, sagte sie, »gehen wir zum Bug.« Ganz dicht drängten sie sich an der Reling zusammen, Gracia und Reyna und Brianda und José, und während das Rufen und Schreien vom Ufer sich in der Unendlichkeit des Ozeans allmählich verlor, hielten sie sich fröstelnd an den Händen und schauten über die graue, wogende Wüstenei hinaus, einer fernen, ungewissen Zukunft entgegen.

Zweites Buch
Prüfungen
Antwerpen, 1538-1545
1
    Wie eine Trutzburg menschlichen Fleißes inmitten garstiger Natur erhob sich Antwerpen aus den ewig wabernden Nebeln der Scheide. Kalt und feucht war es an dem Ufer des Flusses, der die Hafenstadt mit dem Nordmeer verband, und sommers wie winters vergingen kaum zwei Tage, ohne dass feiner Nieselregen die Luft nässte und alles wie mit einem grauen Schleier überzog. Doch wenn der Wind von der Küste über die endlos weite Ebene des flandrischen Umlands blies und die dunkel sich dräuenden Wolkengebirge für einige Stunden auseinandertrieb, dann ragten die hohen Bürgerhäuser mit ihren reichverzierten Stufengiebeln in einen weiß-blauen Himmel empor. Die Butzenscheiben der Fensterfronten funkelten und blitzten um die Wette und zeugten von dem gediegenen Wohlstand, der sich hinter den Backsteinfassaden verbarg. Die schmalen, eng stehenden Gebäude mit ihren überragenden Geschossen wirkten wie Gardesoldaten, die in den Gassen aufmarschiert waren, um Schulter an Schulter die Werke des Bürgerfleißes im Innern der Stadt zu beschützen, den Marktplatz mit dem wappengeschmückten Rathaus, die Zunft- und Gildehäuser, die Fleischhalle und das Brauhaus, vor allem aber die erst kürzlich vollendete Liebfrauenkathedrale, deren vierhundert Fuß hoher Turm der Stolz der ganzen Stadt war, ein selbstbewusster, steinerner Gruß der Bürgerschaft und ihrer Regentin Maria an ihren kaiserlichen Bruder Karl V. Der residierte im nur dreißig Landmeilen südlich gelegenen Brüssel, wenn er nicht gerade in irgendeiner Provinz oder an irgendeiner Grenze seines riesigen Reiches Krieg führen musste. Das eigentliche Herz von Antwerpen aber, der ruhelos pulsierende Muskel, der unablässig das Leben der zweimal hunderttausend hier lebenden Menschen antrieb, war die Börse. Im Jahre 1531 für die unvorstellbare Summe von einhundertfünfzigtausend Golddukaten errichtet, hieß sie als erste internationale Handelsbörse die Kaufleute aller Länder willkommen. In dem gewaltigen, von prachtvollen Arkaden gesäumten Geviert wurde mit allem gehandelt, was Menschen irgendwo in der großen weiten Welt erzeugten oder begehrten. Gewandet in Pelze und kostbares Tuch, hohe Hüte auf den Köpfen und juwelenbesetzte Zierdegen an den Hüften, feilschten die Händler und Makler an schwarzen, schweren Eichentischen um die Preise von Edelsteinen und Elfenbein, von Baumwolle und Seide, von Sandelholz und Galbanum. Höher im Kurs als alle anderen Waren aber standen die Gewürze: Pfeffer und Zimt, Kardamom und Muskat, Ingwer und Safran. Gewürze waren keine bloßen Waren, sondern Zauber- und Allheilmittel, die übernatürliche Kräfte besaßen. Sie konservierten frische Speisen und machten verdorbene Speisen wieder genießbar. Sie verwandelten faules Fleisch oder Gemüse in köstliche Gaumenfreuden, gewöhnliches Bier oder Most in paradiesischen Nektar. Sie heilten Krankheiten und Gebrechen, machten Alte wieder jung und gaben welken Greisen die Manneskraft zurück. Gewürze wurden deshalb in goldenen Schalen gereicht, und ihr Gewicht wurde nicht selten in Gold aufgewogen.
    Dass aber in Antwerpen der Handel blühte wie an keinem anderen Ort der Welt und der Stadt einen nie geahnten Reichtum bescherte, verdankte die Bürgerschaft vor allem einem Teil ihrer Bevölkerung: den Marranen portugiesischer Herkunft. Kaum war der Seeweg nach Indien entdeckt, hatten sich die jüdischen Schiffseigner und Kaufleute in Lissabon für die flämische Hafenstadt als Stapelplatz entschieden, um von den Niederlanden aus die Schätze der Neuen Welt auch in den Norden des Kaiserreichs zu vertreiben.
    Mit offenen Armen hatte der Magistrat von Antwerpen die Neuankömmlinge aufgenommen. In dieser Stadt, wo in einigen Köpfen bereits die Reformation der deutschen Protestanten heimlichen Einzug gehalten hatte, wehte ein anderer Geist als im erzkatholischen Portugal. Den Ton gaben hier nicht

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