Die Gottessucherin
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!« »Amen!«
Während Gracia die Zunge im Mund erstarrte, fielen alle Gläubigen in die Antwort ein, die Kaufleute und die Hofbeamten genauso wie Dom Mario.
»>Wie durch einen Ostwind will ich sie zerstreuen vor ihren Feinden. Ich aber zeige ihnen den Rücken und nicht das Gesicht am Tag ihres Verderbens. < Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!« »Amen!«
Sogar die Marranen bekreuzigten sich, zur Wahrung des katholischen Scheins, während der Bischof mit immer lauterer Stimme zu ihrer Vernichtung aufrief.
»>Dort wird der Herr ihnen ein bebendes Herz geben und erlöschende Augen und eine verzagende Seele, und ihr Leben wird immerdar in Gefahr schweben. Tag und Nacht werden sie sich fürchten und ihres Lebens nicht sicher sein. Morgens werden sie sagen: Ach, dass es Abend wäre!, und abends werden sie sagen: Ach, dass es Morgen wäre.< Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!«
Reyna - sie durfte die Worte nicht hören! Gracia fuhr herum, um ihr die Ohren zuzuhalten. Doch als sie ihre Tochter sah, gefror ihr das Blut in den Adern, und ein Entsetzen überkam sie, wie sie es noch nie in ihrem Leben empfunden hatte. Voller Inbrunst blickte Reyna zu dem Prediger auf, und während sie mit ihrer kleinen Hand das Kreuzzeichen schlug, fiel sie jubelnd in den Chor der ganzen Gemeinde ein, in den Aufruf zur Vernichtung der Juden: »Amen! Amen! Amen!«
40
Noch während der Predigt hatte Gracia Reyna gepackt und mit ihr die Kathedrale verlassen, um diesem Pfingstfest und seinen Dämonen zu entkommen. Nichts konnte sie daran hindern, auch nicht die bösen Blicke, die sie links und rechts zum Ausgang verfolgten. Sie hatte die Versuchung gespürt. Wie eine grüne Taube war sie schwankend geworden in ihrem Glauben, bereit, den Gott Israels zu verraten und sich mit den Mördern ihres Volkes zu verbünden, um eines falschen Friedens willen. Doch der Anblick ihrer Tochter, die zu der Hasstirade des Inquisitors das Kreuzzeichen schlug, hatte sie wieder zur Besinnung gebracht. Fliehen oder bleiben?
Mit Gottes und Reynas Hilfe hatte Gracia die Antwort gefunden. Sie konnte nicht länger in ihrer Heimat bleiben, in einem Land, wo der Schein die Wirklichkeit ersetzte, die Lüge die Wahrheit, und wo man die heiligsten Gebote und Gesetze des Glaubens missachten musste, um die nackte Haut zu retten. Nein, es gab kein richtiges Leben im falschen - ihr eigenes Schicksal war der Beweis. Mit einer Lüge hatte ihr Verhängnis begonnen, in ihrer Hochzeitsnacht. Und mit jeder weiteren Lüge, die daraus folgte, hatte sie sich tiefer in Schuld und Sünde verstrickt, bis zu Franciscos Tod. Es gab nur eine Möglichkeit, sich aus diesem Teufelskreis zu befreien: Sie musste Portugal für immer verlassen. Zehn Tage später bestieg sie in Beiern die Karavelle, die sie mit Reyna, Brianda und José über Bristol nach Antwerpen bringen sollte. Ihr Neffe hatte die Zeit genutzt, um zu verkaufen, was noch zu verkaufen war. Die Diamanten hatten sie in die Kleider eingenäht, den Rest des Vermögens ließen sie in Lissabon zurück. Wenn die Winde günstig stünden, würden sie in zwei Wochen ihr Ziel erreichen.
Mit lautem Knallen fielen die Segel von den Masten, und die Matrosen lösten schon die Taue am Kai, als Gracia am Heck des Schiffes von ihrem Vater Abschied nahm.
»Wollt Ihr nicht doch mit uns kommen?«, fragte sie und nahm seine Hand.
Mit müdem Lächeln schüttelte er den Kopf. »Sie haben mich schon aus Spanien vertrieben. Ich bin zu alt, um ein zweites Mal die Heimat aufzugeben.« Mit tränennassen Wangen drückte er sie an sich, ein allerletztes Mal, und küsste sie auf die Stirn. »Lebt wohl. Gott möge euch beschützen!«
Bevor sie etwas erwidern konnte, ließ er sie stehen und ging von Bord. Mit einem Kloß im Hals schaute Gracia ihm nach. Während das Fallreep eingeholt wurde, kletterte ihr Vater in die Kutsche am Kai, ohne sich umzudrehen oder zu winken - ein alter, einsamer Mann, der ein Leben lang alles getan hatte, um seine Familie vor Unrecht und Verfolgung zu schützen, und nun selbst hilflos einem ungewissen Schicksal überlassen blieb. Der Kutscher nahm die Zügel, und die Pferde trabten an. Ein böiger Wind frischte auf, und Gracia sah noch, wie ihr Vater mit dem Stock seinen Hut festhielt. Dann verschwand der Wagen in einer Gasse. »Leinen los!«
Der Wind knatterte in den Segeln, und die Karavelle legte ab, während im
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