Die Gottessucherin
Hörsaal beäugten, lauerten nur darauf, ihn bei einer Irrlehre zu ertappen, an der sie frommen Glaubensanstoß nehmen konnten, um den Juden, der ihnen so schmählich ihre angestammten Kolleggelder stahl, zur Anzeige zu bringen.
Sein Ruf als Arzt und Wissenschaftler war Amatus Lusitanus aus Lissabon vorausgeeilt, und kaum war er in Flandern gelandet, hatte der Rektor der Universität, ein fortschrittlich gesinnter Mann, ihn gebeten, Vorlesungen an der medizinischen Fakultät zu halten. Es war Amatus Freude und Ehre zugleich, nun an derselben Stätte seine Gedanken vorzutragen, an der bereits der berühmte Erasmus von Rotterdam gegen Aberglaube und Dogmenstarre zu Felde gezogen war, um einem neuen, freien Denken Bahn zu brechen, das nicht von falscher Gottesfurcht beherrscht wurde, sondern von Nächstenliebe und gesundem Menschenverstand. Doch nicht nur aus diesem Grund war Amatus Lusitanus gerne bereit, regelmäßig die Beschwerden der Reise auf sich zu nehmen. Jedes Mal, wenn er nach Löwen aufbrach oder nach Antwerpen zurückkehrte, konnte er sich Gracia Mendes dienlich erweisen, indem er einen Brief ihrer Tochter Reyna an deren Cousin entgegennahm oder umgekehrt einen Brief von José Nasi an seine Base überbrachte, und bei jeder dieser Gelegenheiten wurde ihm das Glück zuteil, die Frau wiederzusehen, die für ihn bestimmt war. Davon nämlich war er seit der ersten Begegnung mit Dona Gracia am Wochenbett ihrer Schwester überzeugt, und er verfluchte nur seine erbärmliche männliche Scheu und Schüchternheit, die sich hinter seinem forschen Auftreten verbarg und ihn daran hinderte, sich ihr zu offenbaren. Er hatte Angst, sie könnte ihn auslachen oder ihm gar die Tür weisen -das riesige Feuermal, das seine Schläfe in so abscheulicher Weise verunstaltete, stand seinem Lebensglück im Wege. Bei Tag und Nacht sann er darüber nach, wie er sich ihr erklären könnte, ohne ihren Unmut zu provozieren. Selbst im Hörsaal ging ihm Dona Gracia nicht aus dem Kopf, so dass er Mühe hatte, sich auf seinen Gegenstand zu konzentrieren, während er allmählich zum Schluss seiner Vorlesung kam.
»Was Jesus Christus einst den Jüngern empfahl«, sagte er und ließ noch einmal den Blick über sein Auditorium schweifen, »das gilt heute genauso für den Arzt am Krankenbett. Statt in blindem Aberglauben seine Verordnungen nach vorgefassten Lehrmeinungen oder gar nach den Konjunktionen und Appositionen des Mondes auszurichten, um die bösen Geister im Leib der Patienten zu beschwören, soll er den eigenen Augen vertrauen, den eigenen Ohren. Nur so können wir den hippokratischen Eid erfüllen, der unser Handeln leiten soll: ärztliche Verordnungen zum Wohl und Nutzen unserer Kranken zu treffen, nach Maßgabe unserer Fähigkeiten und unseres Urteilsvermögens.« Mit lautem Klopfen bekundeten die Studenten ihren Beifall, und noch beim Verlassen des Hörsaals bedrängten sie Amatus mit ihren Fragen. Doch plötzlich verstummte das Gesumm. Ein fremdländisch aussehender Mann, der in der Eingangshalle der Aula wartete, war der Grund. Gewandet in einen bis zum Boden reichenden Überwurf, unter dessen Saum spitze Schnabelschuhe hervorschauten, und mit einem Turban auf dem Kopf kam er jetzt näher.
»Dr. Amatus Lusitanus aus Lissabon?«, fragte er in vorzüglichem Latein.
»Der bin ich.«
»Allah sei gepriesen«, erwiderte der Fremde. »Ich habe Euch um die halbe Welt verfolgt. Von Konstantinopel bin ich Euretwegen nach Lissabon gefahren, und als ich Euch dort nicht fand, bin ich weitergereist nach Antwerpen.« Er holte aus den Falten seines Gewandes eine versiegelte Schriftrolle hervor. »Eine Botschaft für Euch.«
»Für mich?«, fragte Amatus irritiert. »Aus Konstantinopel?« »Von meinem Herrn und Gebieter, Sultan Süleyman, dem Herrscher der Gläubigen und Schutzherrn der heiligen Städte. Allah segne seinen Namen!«
Amatus erbrach das Siegel und begann zu lesen. Die Botschaft war in arabischer Sprache verfasst, doch da er in seiner Jugend die Schriften der arabischen Ärzte studiert hatte, war er mit der Sprache der Orientalen ebenso vertraut wie mit dem Flämischen, Griechischen, Hebräischen, Lateinischen, Spanischen, Italienischen oder Portugiesischen. Der Inhalt des Schreibens aber überraschte ihn. Der Großwesir des Osmanischen Reiches forderte ihn darin auf, nach Konstantinopel zu kommen. Süleyman der Prächtige wollte Amatus Lusitanus zu seinem Leibarzt ernennen und bot ihm dafür ein jährliches Entgelt, das die
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