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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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nicht beendet, da störten laute Schritte die Andacht. Gracia drehte sich um. Paulus, ein Diener mit platzrundem rotem Gesicht, der sich nur von Kohl und fetten Würsten ernährte, kam in das Gotteshaus geeilt. Wie alle Flamen in ihrer Dienerschaft hatte sie ihm ein Extrageld gegeben, damit er niemandem verriete, wer im Keller ihres Hauses versteckt war. »Was willst du?«, fragte sie auf Flämisch, das ihr immer noch schwer über die Lippen kam. »Wir sind beim Gebet.« »Ihr habt gesagt, ich soll Euch sofort Bescheid sagen, wenn die Bücher da sind.«
    »Die Bücher aus Paris?« Vor Aufregung begann ihr Herz zu klopfen.
    »Habe ich etwas falsch gemacht?«, fragte Paulus, als er ihre Verwirrung sah.
    »Nein, nein, im Gegenteil.«
    Ohne das Ende des Gottesdienstes abzuwarten, verließ Gracia die kleine Synagoge und lief die Treppe hinauf. Samuel Usque, der mit der Versorgung der Flüchtlinge beschäftigt war, kam ihr aus der Küche entgegen. »Wollt Ihr nicht die Suppe austeilen?«
    »Kümmere du dich bitte darum. Reyna soll dir helfen. Ich habe keine Zeit.«
    Die Bücher lagen schon auf dem Pult in ihrem Schreibzimmer bereit, fünf dicke, in Leder gebundene Folianten, mit lateinischen, portugiesischen und hebräischen Titeln: die Lehrbücher von Dr. Amatus Lusitanus. Mit einem Messer schnitt sie die Bögen auf und begann zu blättern. Warum waren die Inhaltsverzeichnisse immer an anderen Stellen versteckt? Gracia staunte, mit wie vielen Krankheiten und Gebrechen Amatus sich in seinem Leben schon befasst hatte. Allein siebzehn Arten Fieber beschrieb er, und für alle schlug er unterschiedliche Arzneien vor, zusammengesetzt aus Kräutern und Pflanzen, von denen Gracia noch nie gehört hatte.
    Es war vielleicht eine Stunde vergangen, als sie endlich das gesuchte Kapitel fand: über die Nonnenkrankheit. Gerade als sie anfangen wollte zu lesen, platzte Reyna herein. »Ich bin mit dem Essen fertig. Kann ich noch Tante Brianda besuchen ? Sie hat mir versprochen, dass ich La Chica wickeln darf.« »Ja, wenn du möchtest«, antwortete Gracia zerstreut. »Oder nein! Geh lieber in dein Zimmer und schreib José. Du hast noch nicht auf seinen letzten Brief geantwortet.« Während Reyna unwillig gehorchte, starrte Gracia auf die engbedruckten Seiten des Buches. Welches Geheimnis würden sie ihr verraten? Ohne den geringsten Grund wurden ihr plötzlich die Hände feucht. Seit sie Amatus Lusitanus zum ersten Mal getroffen hatte, waren viele Monate vergangen, und in dieser Zeit waren sie einander regelmäßig begegnet. Der Arzt war inzwischen Dom Diogos bester Freund, regelmäßig tauchte er im Kontor auf, und wann immer er nach Löwen abreiste, um an der Universität Vorlesungen zu halten, oder wieder nach Antwerpen zurückkehrte, machte er Gracia seine Aufwartung, in ihrem neuen Haus am Groenplaats. Und jedes Mal, wenn ein Diener seinen Besuch meldete, freute sie sich so sehr, dass sie ihre Arbeit liegenließ. Sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart, war gern mit ihm zusammen, bewunderte seinen Geist und seine Bildung - er kannte die griechischen und lateinischen Philosophen ebenso gründlich wie die Thora und die medizinische Literatur -, und sie mochte es gar nicht, dass er sich seit seinem Antrag weder bei ihr noch bei Diogo mehr blicken ließ. Ja, sie vermisste ihn, nicht nur seine freundlichen Aufmerksamkeiten, mit denen er sie bei seinen Besuchen bedachte, manchmal Blumen, manchmal Konfekt, meistens aber Bücher, sondern mehr noch die Gespräche, seine ebenso ernste wie humorvolle Art, in der er seine Ansichten vortrug und ihr immer wieder empfahl, im Zweifelsfall nicht auf überkommene Meinungen zu vertrauen, gleichgültig, ob es sich um Fragen des Glaubens oder der Wissenschaft handelte, sondern stets auf den eigenen Augenschein und das eigene Urteil, und sie war froh, dass er den Ruf des Sultans nach Konstantinopel ausgeschlagen hatte, um in Antwerpen zu bleiben. Aber heiraten?
    Gracia schüttelte den Kopf. Nein, sie hatte in ihrem Leben einen Mann geliebt, den sie nicht aufhören wollte zu lieben. Sie sah Francisco vor sich, in der Stunde seines Todes, die flehende Bitte in seinem Gesicht, endlich Schluss zu machen mit seinem Leben. Doch als sie das Kissen genommen hatte, da hatte sein Körper, aus dem doch schon alles Leben gewichen schien, sich noch einmal aufgebäumt, in verzweifelter Todesangst, so dass sie ihre ganze Kraft hatte aufbieten müssen, um zu tun, was er von ihr verlangte ... Niemals würde sie dieses

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