Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
hineingelangten, desto unruhiger
wurde der Krieger. Mit jedem Mal, bei dem Isfrael und er
durch Bardenmeer wanderten, wuchs sein Unbehagen.
Nur noch wenige Jahre verblieben der Familie, bis sie
sich von dem Jungen würde trennen müssen. Damit er
die Art und Magie der awarischen Bäume kennenlerne.
Der Krieger wußte nicht, ob er nach dem Verlust der Edlen auch noch den ihres gemeinsamen Sohnes ertragen
könnte.
Er warf jetzt einen langen Blick auf den Knaben. Ein
Kind, das immer schon mit der Magie auf vertrautem Fuß
gestanden hatte. Nichts Übernatürliches schien ihm
fremd zu sein, und im Lauf der Jahre gewann Isfrael immer größere Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Dieser Eindruck drängte sich Axis vor allem dann auf, wenn sie
zweimal im Jahr vor Niahs Hain standen.
Sie hatten ihr Ziel fast erreicht, und beide wechselten
kaum noch ein Wort miteinander. Selbst die Geräusche
des Waldes waren nur noch gedämpft zu hören. Die Vö
gel saßen still auf ihren Ästen und sahen ihnen zu, statt
fröhlich zwitschernd durch das Laub zu flattern.
Und dort, ein kleines Stück voraus, wartete sie schon.
Wie stets bisher.
Schra.
Sie mußte nun ungefähr fünfzehn sein, sagte sich der
Krieger, als sie sich ihr näherten. Sie besaß das schwarze
Haar und die dunklen Augen ihres Volkes und dazu auch
den feingliedrigen Knochenbau der Waldläuferinnen.
Aber für jemand aus diesem Volk wirkte sie ungewöhnlich groß und hellhäutig. Unter den Awaren genoß Schra
als Erste Magierin allergrößte Hochachtung, jedoch
ebenso bei Axis und Isfrael. Sie verfügte auch über große
Zaubermacht, aber ohne die Bedrohung, die der Krieger
und Aschure von den früheren führenden Magiern zu
spüren bekommen hatten. Schra bediente sich ihrer Fä
higkeiten ausschließlich mit friedlichen Absichten. Wo
immer sie war, umgab sie eine Aura der größten Heiterkeit und Gelassenheit. Und so kam sich Axis manchmal
in ihrer Gegenwart vor wie ein unbeholfener Stallbursche.
»Willkommen, Sternenmann«, begrüßte Schra ihn,
nahm seine Hände und küßte ihn auf die Wange.
»Isfrael«, lächelte sie dann den Knaben an. »Jedesmal,
wenn wir uns begegnen, seid Ihr schon wieder um eine
Handbreit gewachsen.« Das Mädchen bückte sich und
streifte kurz mit ihren Lippen seine Wange.
Der Knabe errötete vor Vergnügen. Er freute sich immer schon lange im voraus darauf, die Awarin wiederzusehen, und liebte sie fast so sehr wie seine Mutter. Isfrael
wußte auch von seiner Bestimmung, daß er eines Tages
zu den Waldläufern ziehen sollte. Und er spürte, wie sehr
seinen Vater diese Vorstellung beunruhigte. Aber wenn
alle Awaren so wunderbar waren wie Schra, wollte der
Junge gern bei ihnen leben.
Schra ließ jetzt die Hände sinken und sah den Krieger
ernst an. »Ihr müßt am Rand des Hains warten.«
»Das ist mir bekannt«, entgegnete Axis rauh. Stets
mußte er am Rand zurückbleiben, so wie jemand, der
unerwünscht war. Warum mußte das Mädchen ihn nur
immer wieder daran erinnern?
Sie nickte, nahm Isfrael an die Hand und führte ihn fort.
Ihre Wanderung endete stets vor Niahs Hain, und Axis
wußte nicht so recht, was sie immer wieder hierher führte. Genauso wenig wie den Grund dafür, daß das Wesen,
zu dem Faraday geworden war, sich von Niahs letzter
Ruhestätte so angezogen fühlte. Der Hain lag noch genauso da wie seit dem Tag, an dem Faraday die Stätte mit
Bäumen bepflanzt hatte. Die neun Bäume umringten das
Grab, und ihre Äste hatten sich ineinander verwoben;
dennoch fanden immer noch einige Sonnenstrahlen ihren
Weg durch das Laubdach auf die Erde. Mondwildblumen, die von Aschure stammten, wuchsen in einem dichten Kreis in der Mitte der Stätte und hatten sich auch hier
und da auf der Lichtung davor ausgebreitet.
Schra führte den Knaben in den Kranz der violetten
Blumen und bedeutete ihm, sich hier hinzusetzen. Dann
bückte sie sich und redete leise mit ihm, bis sie sich wieder aufrichtete und ans andere Ende des Hains eilte. Dort
warf die Magierin erst einen Blick auf Isfrael, ob er auch
still sitze, und endlich auf Axis.
Wenn beides zufriedenstellend ausfiel, verschwand
Schra im Schatten.
So warteten sie: Der Krieger vor dem Ring der neun
Bäume und Isfrael inmitten der Blüten. Manchmal vergingen nur wenige Minuten, andere Male aber bis zu drei
Stunden. Doch mochte es auch noch so lange dauern, der
Knabe bewies stets große Geduld, verlor kein Wort und
wurde nie zappelig. Selbst als ganz kleines Kind, als er
kaum auf eigenen Beinen stehen konnte
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