Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
sich gelassen und jagten auf den Sperrpaß zu.
Sie will zurück nach Smyrdon, dachte er, ausgerechnet
an den wenig erfreulichen Ort ihrer Kindheit. Was werden die Dorfbewohner wohl denken, wenn Ihr so angetan
und mit dem allerwildesten Ausdruck in den Augen in
ihre Gemeinde einreitet?
Die junge Frau drehte sich im Sattel um, winkte ihm
zu und sandte ihm in Gedanken ihre Liebe. Der Krieger
lächelte.
»Sie kann sehr gut auf sich selbst aufpassen, mein
Sohn.«
Rivkah war an seine Seite getreten. Als er sich zu ihr
umdrehte, wurde ihm unbehaglich zumute. Seine Mutter
befand sich bereits im siebten Monat.
»Ihr solltet Euch lieber schonen.«
»Bin ich vielleicht eine zarte Kirschblüte, die beim leisesten Windhauch vergeht?« gab sie unfreundlich zurück, fuhr dann aber sanfter fort: »Axis, wir beide müssen uns aussprechen. Über dieses Kind.«
»Was gibt es da denn zu bereden? Das Kind ist ganz
allein Eure und Magariz’ Angelegenheit.«
»Und auch Euer Bruder!« fuhr sie ihn an.
»Ich wünschte, dem wäre nicht so«, entgegnete er hart.
»Wenn ich gewußt hätte, daß Ihr immer noch in der Lage
wärt, Kinder in die Welt zu setzen, hätte ich bestimmt …«
»Hättet Ihr was, Axis?«
Er zögerte, und an seiner Wange zuckte ein Muskel.
»Was habt Ihr mit der Krone und dem Ring angefangen,
den Insignien des Königs von Achar?«
»Seht Ihr denn in jedem Schatten Verrat und Falschheit lauern? Könnt Ihr denn mein Kind nur als Bedrohung begreifen?«
Ohne ein weiteres Wort ließ Rivkah ihn stehen und
rauschte mit ärgerlich raschelnden Röcken davon. Axis
lehnte sich an den warmen Stein der Burgmauer und
fragte sich, ob Faraday ihm das angetan hatte, um sich an
ihm zu rächen. Denn ohne diese hätte seine Mutter niemals mehr schwanger werden können.
Oben auf dem Turm hielt Imibe Caelum im Arm, damit
er einen letzten Blick auf seine davonreitende Mutter
werden konnte.
»Was für ein glücklicher kleiner Junge«, flüsterte sie
ihm ins Ohr, »der eine so zauberische Mutter hat.«
Der Knabe lächelte zustimmend und schickte Aschure
in Gedanken den Gruß zu, daß er sie sehr liebhabe. Trotz
der Entfernung empfing sie diese Worte klar und deutlich
und schickte ihm ihre Antwort: Ich bin bald wieder zu
Hause, Caelum. Wartet auf mich.
Tiefer in der Burg, in den Gemächern von Belial und
Kassna, lächelte Drachenstern. Bald würden seine beiden
Eltern Sigholt verlassen haben, und dann konnte ihn
nichts und niemand mehr aufhalten.
Er würde der Erbe werden. Ja, er wäre bald der Erbe
des Sternenmannes!
9 D ER
L
EBENSSEE
Sie saßen auf der Kuppe eines niedrigen Hügels, Nebel
und Magie verbargen sie vor den Blicken Neugieriger,
und sie verfolgten den Ausritt von Axis’ Armee. Der Tag
neigte sich bereits, als die letzte Einheit die Burg verließ.
»Er sah gut aus«, bemerkte Yr heiser. Das milde
Abendlicht verdeckte die schlimmsten ihrer schwärenden
Wunden.
»So wie sie alle«, bestätigte Jack. Er hatte beide Hände um den Stab geklammert, so fest, daß die Knöchel
weiß hervortraten. »Der See hat ihnen gut getan.«
Zecherach konnte den Blick nicht von dem Gewässer
wenden. So schön hatte sie es seit über zweitausend Jahren nicht mehr gesehen. »Wir sollten weitergehen«, erklärte sie.
»Wird uns jemand bemerken können?« fragte Veremund. Deutlich hörte man die Schmerzen, die er erlitt,
aus seiner Stimme heraus. Das Opfer war die beiden alten Brüder am schwersten angekommen; die Linderung,
die sie am Farnbruchsee von der Mutter erhalten hatten,
war längst verflogen.
Zecherach schüttelte den Kopf. »Nein. Seht nur, das
Südufer des Wassers liegt verlassen da. Dort laßt es uns
angehen.« Sie erhob sich und wartete, bis die vier anderen sich mühselig aufgerappelt hatten. Ihr Blick blieb
schließlich an Jack hängen. Wie stolz und voller Lebenskraft er früher immer gewesen war. Wie stark seine
Schultern, auf die er alle Nöte der Wächter hatte laden
können. Doch heute zitterte ihr Gemahl und litt an Kurzatmigkeit. Zecherach wäre zu gern zu ihm gelaufen und
hätte ihn gestützt. Aber das durfte sie nicht, und so blieb
sie stehen. Die Katzenfrau half Jack.
Langsam wanderten die fünf im dämmrigen Abendlicht zum Lebenssee. Zecherach an der Spitze und mehrere Schritte voraus; die anderen mühten sich nach Kräften, mitzukommen. Sie alle achteten darauf, nicht zu
straucheln. Ein gebrochenes Bein oder ein umgeknickter
Fuß hätten jetzt das Ende der Prophezeiung
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