Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2
gesamten Bestattungstages hatte ich es vermieden, das Zimmer aufzusuchen, denn mir geht die morbide Neugier ab, mit der viele Menschen beinahe zwanghaft meinen, Tote begaffen zu müssen. So geschah es, dass ich meinen Gastgeber zugleich zum zweiten und letzten Mal erblickte. Vollständig bekleidet und auf die Einäscherung vorbereitet, lag er auf dem kalten weißen Bett, dessen reich verzierte, gobelinartigen Vorhänge zurückgezogen waren. Das Zimmer wurde von mehreren großen Kerzen erhellt, die auf einem kleinen Tisch in sonderbaren, vom Grünspan vieler Jahre überzogenen Messingleuchtern flackerten. Doch schien ihr Schein inmitten der düsteren Weiträumigkeit des Gemachs und seiner leichenhallenartigen Schatten nur ein trügerisches, trostloses Zwielicht zu verbreiten.
Beinahe gegen meinen Willen starrte ich auf die leblosen Gesichtszüge des Toten und wandte den Blick danach rasch ab. Zwar war ich für die reglose Blässe und Starrheit gewappnet gewesen, aber nicht für die restlose Offenbarwerdung des grässlichen Abscheus, des unmenschlichen Schreckens und Grauens, die das Herz dieses Mannes im Lauf höllengleicher Jahre zerfressen hatten – und die er im Leben mit nahezu übermenschlicher Willenskraft vor dem flüchtigen Beobachter verborgen hatte. Der Schmerz dieser Offenbarung war übermächtig und ich brachte es nicht über mich, einen zweiten Blick auf ihn zu werfen. In gewisser Weise schien es, als wäre er gar nicht tot – als lauschte er noch immer mit qualvoller Aufmerksamkeit den furchtbaren Geräuschen, die den letzten Anfall seiner Krankheit nur desto schneller herbeigeführt haben mochten.
Im Zimmer standen mehrere Stühle, die nach meiner Einschätzung ebenso wie das Bett aus dem siebzehnten Jahrhundert stammten. Harper und ich wählten Sitzplätze neben dem kleinen Tisch, der zwischen dem Totenbett und jener in dunklem Holz getäfelten Wand aufgestellt war, hinter der das unentwegte, schabende Geräusch hervorzudringen schien. Schweigend, mit gezückten und schussbereiten Revolvern, traten wir unsere grausige Totenwache an.
Während wir auf unseren Stühlen saßen und warteten, verspürte ich einen widerwärtigen, aber unwiderstehlichen Zwang, mir die namenlose Missgeburt auszumalen … In meinen Gedanken jagten gestaltlose oder nur unvollständig manifestierte Bilder albtraumhafter Leichenhausschrecken einander in chaotischem Reigen. Eine grauenvolle Neugier, die mir sonst fremd war, drängte mich, Harper zu befragen. Doch eine noch stärkere Hemmung hielt mich davon ab. Der alte Mann bot von sich aus keinerlei Bemerkung oder Hinweis an, sondern fixierte die Wand mit Augen, die hell waren vor Furcht und in seinem greisenhaft wippenden Kopf keinen Lidschlag lang zu flackern schienen.
Es ist mir unmöglich, einen Begriff von der unnatürlichen Anspannung, der grausigen Ungewissheit und unheilvollen Erwartung der folgenden Stunden zu vermitteln. Die hölzerne Zwischenwand musste eine beträchtliche Stärke und Härte aufweisen, die jeder normalen Kreatur, die nur mit Krallen oder Zähnen versehen war, standgehalten hätte. Doch solch einleuchtenden Argumenten zum Trotz glaubte ich jeden Augenblick, die Wand zu uns hereinbrechen zu sehen. Das schabende Geräusch klang endlos fort, und in meiner fiebrigen Vorstellung erscholl es mit jedem Atemzug deutlicher und näher. In regelmäßigen Abständen meinte ich ein leises, gieriges, hundegleiches Winseln zu vernehmen, wie es der Kehle eines hungrigen Tieres entrinnen mochte, das sich dem Ziel seiner Beutejagd nähert.
Weder Harper noch ich selbst hatten ein Wort darüber verloren, was wir tun sollten, falls das Ungeheuer sein Ziel erreichte. Allerdings schien eine unausgesprochene Übereinkunft für unser Vorgehen zu bestehen. Dennoch: Mit einer Neigung zum Aberglauben, derer ich mich nicht für fähig gehalten hätte, fragte ich mich allmählich, ob die Leibesbeschaffenheit des Ungeheuers ausreichend menschenähnlich war, als dass einfache Revolverkugeln ihm gefährlich werden konnten. Inwieweit würde es Merkmale seines unbekannten, legendenhaften väterlichen Elternteils aufweisen? Ich versuchte, mir einzureden, dass derlei Fragen und Überlegungen schlicht abwegig waren. Dennoch kehrte ich immer und immer wieder zwanghaft zu ihnen zurück, als locke mich ein verbotener Abgrund.
Die Nacht strömte dahin wie ein dunkler, träger Fluss und die hohen, zur Begräbnisatmosphäre beitragenden Kerzen waren heruntergebrannt, bis nur noch die
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