Die Grabräuber
stecken.
La-Kau war nicht größer als ein Liliputaner. Er saß auch nicht, sondern stand breitbeinig auf einem dichten Geflecht aus Bambus. Sein kahler Kopf war klein, er glich einer zusammengeschrumpelten Zitrone. Den Gesichtsausdruck konnte man als verbissen bezeichnen. Wenn ein Mensch Essig oder Zitrone trank, sah er ähnlich aus. Augen und Mund bildeten Schlitze, Pupillen konnte Suko überhaupt nicht sehen, und das schmale Kinn ragte spitz vor.
Der Hals war mager, auch faltig, und der Körper verschwand unter einem sackähnlichen grauen Gewand, das auch seine Beine verdeckte. Aus den breiten Ärmelöffnungen schauten die Hände hervor. Hände? Nein, das waren schon Krallen, die an Vogelklauen erinnerten und auch eine solche Krümmung aufwiesen.
Für Suko strahlte diese Gestalt all das Widerwärtige aus, das man sich nur vorstellen konnte. Ein grauenvolles Geschöpf, das sich nicht rührte, doch der Inspektor merkte den Strom des Bösen, der ihn erreichte. Obwohl dieses Etwas vor ihm sein Ahnherr war, fand Suko keinerlei Gemeinsamkeiten. Die Gestalt vor ihm hätte auch eine Mumie sein können, aber sie lebte!
Plötzlich hob sie ihren kleinen Schädel an. Dabei öffneten sich auch die Augenschlitze, und Suko sah zum erstenmal so etwas wie Pupillen. Sie wirkten wie Körner aus Glas.
Diese Regung nahm Hiatu zum Anlass, die mumienhafte Gestalt anzusprechen. So tief es ging, verneigte er sich vor ihr und erklärte mit bebender Stimme, dass alles so vorbereitet wäre, wie es der große La-Kau gewünscht hatte. Die Mumie hatte für diese Worte nichts übrig. Sie schaute nicht einmal hin, nur Suko wurde angestarrt, und dann sprach sie auch zum erstenmal. Dabei redete sie den Inspektor an.
»Du bist gekommen!«
Suko lauschte dem Klang der Stimme nach. Die Mumie hatte in seiner Heimatsprache geredet. Rauh und mit einem schweren Schlag der lappigen Zunge sprach sie, wobei sie nach den Worten eine Pause einlegte, denn sie wartete auf eine Antwort.
Suko enttäuschte seinen Ahnherrn nicht. »Wie du siehst, bin ich hier.«
»Und hast mir das mitgebracht, was ich so gern haben will!«
»Ja, ich trage es bei mir, aber ich werde es nicht aus der Hand geben!«
Nach diesen Worten zuckte Hiatu zusammen. Für ihn war es ein ungeheurer Frevel. Er wurde direkt um eine Spur blasser und schaute Suko so scharf an, als wollte er ihn töten.
La-Kau reagierte gelassener. »Ich übe Nachsicht mit dir, mein Enkel. Du hast von mir nicht gehört, du kennst mich nicht, deshalb will ich dir dieses eine Mal noch verzeihen. Aber nicht öfter, denn ich brauche den Stab.«
»Woher wusstest du von ihm?«
»Das ist eine sehr lange Geschichte«, erklärte Sukos Ahnherr. »Ich habe Zeit und will sie hören.«
»Nun ja, du hast es verdient, mein Enkel, falls man dir noch nichts gesagt hat.«
»Nein, das hat man nicht. Höchstens Andeutungen, und ich frage mich, wie du nach so vielen Jahren noch leben kannst.«
»Die Kräfte der Dunkelheit sind eben unerforscht und unermesslich«, bekam Suko zur Antwort.
»Es gibt Menschen, die sind nur in den Sagen und Legenden unsterblich. Bei mir ist es anders. Ich bin unsterblich geworden.«
»Hast du dich der Hölle verschrieben?«
»Was ist die Hölle?«
»Schon gut, La-Kau, rede du! Ich möchte alles von dir wissen.«
Die kleine, lebende Mumie nickte. »Es war zu einer Zeit, an die man sich nicht mehr erinnern kann, aber dieses Land, das heute China heißt und für mich das Reich der Mitte war, erlebte zu damaligen Zeiten seine hohe Blüte. Chinesen waren es, die eine erste Kultur brachten, und Chinesen sorgten auch dafür, dass die großen Reiche gegründet wurden. Dynastien entstanden. Kaiser wurden gekrönt, Mandarine als ihre Vertreter in den großen Provinzen eingesetzt. Auch ich gehörte zu den Bevorzugten, ich war ein mächtiger Mandarin, und manche hielten mich sogar für mächtiger als den Kaiser selbst. Ich bekam ein Gespür für die Macht, und ich wollte sie nie mehr missen. Ich umgab mich mit kostbaren Schätzen, besaß eine Leibgarde, die meine Feinde kurzerhand enthauptete, und ich sonnte mich in meinem Ruhm. Das wurde auch der Kaiser gewahr. Er war ein ängstlicher Mensch und fürchtete sich davor, dass ich ihn einmal vom Thron verjagen könnte. Aber ich hielt mich zurück, obwohl ich mit diesem Gedanken gespielt hatte, dem großen Kaiser trotzdem versicherte, wie sehr ich ihm ergeben war. Dies geschah zu einer Zeit, als er schon die Gräber bauen ließ, sie mit Schätzen und
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