Die Graefin Charny
Bittschrift wurde durch einen gewissen Robert verlesen und mußte nun unterzeichnet werden. Die Zahl der Unterzeichner war nicht auf zwei- bis dreihundert beschränkt: es waren vielleicht zehntausend, und da von allen Seiten immerfort noch Menschen herbeiströmten, so war vorauszusehen, daß binnen einer Stunde mehr als fünfzigtausend den Altar des Vaterlandes umgeben würden.
Inzwischen war der Nationalversammlung gemeldet worden, auf dem Marsfelde habe sich eine große Menschenmenge versammelt und nehme eine drohende Haltung ein. Die Nationalversammlung entsandte daraufhin Lafayette mit einem Truppenaufgebot.
Lafayette erscheint auf dem Marsfelde; die Volksmasse ist noch mit der Unterzeichnung der Petition beschäftigt, und es herrscht die vollkommenste Ruhe.
Der General rückt bis zum Altar des Vaterlandes vor. Er erkundigt sich nach dem Zweck der Versammlung. Man zeigt ihm die Petition. Die Bittsteller versprechen, sich nach Hause zu begeben, sobald die Petition unterzeichnet sein wird. Er sieht in diesem Vorgange nichts Tadelnswertes und zieht sich mit seinen Truppen zurück.
Zwei Schüsse, die bei der Ankunft Lafayettes abgegeben worden waren, aber niemand verletzt hatten, sind auf dem Marsfelde unbeachtet geblieben, aber in der Nationalversammlung haben sie einen furchtbaren Widerhall gefunden. – Die Nationalversammlung beabsichtigt dieses Mal einen royalistischen Staatsstreich, und jedes Mittel ist ihr zur Erreichung dieses Zweckes willkommen.
»Lafayette ist verwundet! sein Adjutant niedergeschossen! ... Auf dem Marsfelde gehen greuliche Dinge vor!«
So lautet die Kunde, die sich wie ein Lauffeuer durch Paris verbreitet und von der Nationalversammlung der Stadtbehörde offiziell mitgeteilt wird.
Aber die Stadtbehörde ist durch die Vorgänge auf dem Marsfelde schon beunruhigt worden; sie hat drei Beamte dahin abgeschickt.
Die Unterzeichner der Petition sehen vor dem Vaterlandsaltar einen neuen Zug anrücken. Sie schicken ihm eine Deputation entgegen.
Die drei Gemeindebeamten gehen gerade auf den Altar des Vaterlandes zu; aber anstatt der tobenden, drohenden Menge, die sie erwartet hatten, sehen sie eine friedliche Schar von Bürgern. Aber vielleicht ist die Petition aufrührerisch. Die Gemeindebeamten verlangen die Vorlesung der Petition. Sie wird ihnen von der ersten bis zur letzten Zeile vorgelesen.
»Meine Herren,« sagen die Beamten, »wir freuen uns, Ihre Stimmung kennenzulernen; wir hörten, es sei hier ein Tumult, aber wir sehen mit Vergnügen, daß man uns getäuscht hat. Wenn wir nicht von Amts wegen hier wären, würden wir selbst unterzeichnen.«
Die Zustimmung von drei Männern, bei denen man feindselige Absichten vermutet hatte, ermutigt die Bittsteller. In einem unbedeutenden Streit zwischen dem Volk und der Nationalgarde sind zwei Personen verhaftet worden. Die beiden Gefangenen sind ganz schuldlos. Die angesehensten unter den Petitionären verlangen ihre sofortige Freilassung.
»Das können wir nicht auf uns nehmen,« antworten die Beamten; »aber ernennen Sie Kommissare; diese können sich mit uns zum Stadthause begeben, und es wird ihnen bewilligt werden, was recht ist.«
Man ernennt sogleich zwölf Kommissare; unter ihnen den einstimmig gewählten Billot. Sie begeben sich mit den drei Beamten zum Stadthause.
Der Grêveplatz ist zum größten Erstaunen der Kommissare mit Soldaten besetzt. Vor der Tür des Ratssaales weiden die Kommissare von den drei Beamten ersucht, einen Augenblick zu warten. Die letzteren gehen hinein und erscheinen nicht wieder.
Die Kommissare warten eine Stunde. Niemand läßt sich blicken. – Billot runzelt die Stirn und stampft ungeduldig mit dem Fuße. Plötzlich geht die Tür auf. Der Gemeinderat erscheint, Bailly voran. Billot geht auf ihn zu.
»Herr Bürgermeister,« sagte er energisch, »wir erwarten Sie seit einer Stunde.«
»Wer sind Sie und was haben Sie mir zu sagen?« fragte Bailly.
»Wer ich bin? Ich bin Billot. Ich habe Ihnen zu sagen, daß wir die Abgesandten des auf dem Marsfelde versammelten Volkes sind.«
»Und was verlangt das Volk?«
»Es verlangt die Erfüllung des Versprechens, das Ihre drei Bevollmächtigten gegeben haben, nämlich die Freilassung zweier zu Unrecht beschuldigter Bürger, für deren Schuldlosigkeit wir bürgen.«
»Ein solches Versprechen«, sagte Bailly, »kann uns nicht binden.«
»Warum nicht?«
»Weil es Aufrührern gegeben worden ist.«
Billot runzelte die Stirn. »Aufrührern!« erwiderte er;
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