Die Graefin Charny
würde ich nicht sechs Jahre gelebt haben, ohne ihr zu Füßen zu fallen.«
Er verneigte sich vor der bestürzten Königin und entfernte sich.
Andrea schwebte in diesen Tagen in größter Angst, ahnte sie doch, daß Olivier sich beim fliehenden König befand. Als die Kunde von der Rückkehr Ludwigs XVI. nach Paris kam, litt es sie nicht zu Haufe; sie wartete mit Tausenden von Menschen vor den Tuilerien. Von dort sah sie wirklich Charny und die beiden andern Offiziere auf dem Bock des Reisewagens.
Endlich hielt der Wagen mitten unter dem lauten Geschrei und Getümmel an. – Fast in demselben Augenblick entstand eine große Bewegung, ein entsetzlicher Tumult in der Nähe des Wagens. Die Bajonette, Piken, Säbel erhoben sich; die drei Offiziere stürzten sich von ihrem Sitz und verschwanden, als ob sie in einen Abgrund gefallen wären. Dann entstand ein so starkes Wogen und Drängen unter der Menschenmasse, daß ihre letzten Reihen gewaltsam gegen die Terrassenwand geworfen wurden.
Andrea war fast besinnungslos vor Schreck; sie sah und hörte nichts mehr; die Erde drehte sich ihr im Kreise, es brauste ihr in den Ohren wie die Brandung des Meeres ... Sie sank halb ohnmächtig nieder, nur der Schmerz erinnerte sie daran, daß sie noch lebte.
»Sind sie tot?« war ihr erstes Wort, als sie wieder zu sich selbst kam.
Das Mitleid ist scharfsinnig; die Umgebung der Gräfin verstand sogleich, daß sie jene drei Männer meinte, deren Leben in so furchtbarer Gefahr gewesen war.
»Nein,« war die Antwort, »sie sind gerettet! Man nimmt an, daß sie im Schlosse sind.«
»Im Schlosse ... Dank, tausend Dank!«
Sobald die Gräfin in ihrem Zimmer war, sank sie erschöpft vor ihrem Betstuhl nieder. Es gibt Augenblicke, wo der Dank gegen den Allmächtigen so groß ist, daß Worte fehlen; dann erhebt sich das Herz zum Himmel.
Während sie in dieses selige Entzücken versunken war, ging die Tür auf; die Kammerjungfer suchte sie.
»Der Herr Graf von Charny«, sagte die Kammerjungfer.
Andrea nickte mit dem Kopfe; – sie konnte nicht sprechen.
Charny und die Gräfin waren allein.
»Ich habe gehört, Madame, daß Sie soeben erst nach Hause gekommen sind«, sagte er; »finden Sie es nicht indiskret, daß ich Ihnen so auf dem Fuße gefolgt bin?«
»Nein,« sagte sie mit zitternder Stimme, »nein ... Sie sind mir willkommen, Graf ... Ich war so unruhig, daß ich ausgegangen war, um zu erfahren, was vorging.«
»Madame, Sie hatten meinem Bruder einen Auftrag an mich gegeben? ...«
Andrea richtete sich halb auf und sah den Grafen mit ängstlicher Spannung an.
»Isidors Papiere sind mir eingehändigt worden, und Ihr Brief befand sich darunter.«
»Sie haben ihn gelesen?« rief Andrea und drückte beide Hände auf das Gesicht.
»Nein, ich sollte den Inhalt dieses Briefes nur im Falle einer tödlichen Verwundung kennenlernen, und Sie sehen, daß ich gesund und wohlbehalten bin.«
»Und der Brief? ...«
»Hier ist er, unerbrochen, wie Sie ihn meinem Bruder übergeben hatten.«
»Graf,« sagte Andrea, den Brief nehmend, »was Sie da tun, ist entweder sehr schön oder sehr grausam!«
Charny streckte den Arm aus und faßte die Hand der Gräfin. Sie ließ ihm ihre zitternde Hand.
»Ich weiß jetzt, warum Sie gekommen sind, Graf,« sagte sie nach einer Pause, »Sie wollten mir den Brief zurückgeben ...«
»Jawohl,« erwiderte er, »aber auch noch in anderer Absicht ... Ich habe Sie um Verzeihung zu bitten, Gräfin!«
»Mich wollen Sie um Verzeihung bitten, Graf?«
»Wegen des Benehmens, das ich seit sechs Jahren gegen Sie beobachtet habe.«
Andrea sah ihn sehr erstaunt an.
»Habe ich mich jemals beklagt?« fragte sie.
»Nein, Gräfin, weil Sie ein Engel sind!«
Andrea wandte sich ab, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Sie weinen, Andrea!« sagte Charny.
»Oh, verzeihen Sie mir«, erwiderte Andrea; »aber ich bin nicht gewohnt, daß Sie so zu mir sprechen ... Ach, mein Gott! mein Gott!«
Sie hielt inne. Wahrend sie ihr Gesicht bedeckt hatte, war ihr der Graf zu Füßen gefallen.
»Mein Gott, zu meinen Füßen!« wiederholte sie, als ob sie ihren Augen nicht trauen könnte.
»Andrea, Sie haben mir Ihre Hand entzogen«, sagte Charny.
Er reichte ihr von neuem die Hand.
»Was bedeutet das?« stammelte sie.
»Andrea,« antwortete Charny zärtlich, »es bedeutet, daß ich dich liebe!«
»Er liebt mich!« sagte sie, sich abwendend. »Nein, das ist unmöglich!«
»Sage, daß es dir unmöglich ist, mich zu lieben,
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